Ein Gartennarr

Als für die Kreuzritter 1291 Festung und Stadt Akkon verlorenging, schrieb der arabische Gelehrte Ibn ed-Druda in sein Tagebuch: Mögen die Christen dem Verlust ihres Königreichs Jerusalem nachtrauern, so ist doch der Gewinn, den sie seit Jahrhunderten in den Westen mitnahmen, ungleich größer als jegliche Niederlage. Nicht nur vielfache Möglichkeiten der Herstellung von Kleidung und Möbeln, auch das Kennenlernen unsrer Musikinstrumente, etwa der Laute brachte in ihr Leben den Reichtum, der das Leben erst lebenswert macht. Was zu sagen von den Gewürzen, dem Reis, den lieblichen Früchten wie Aprikose und Zitrone? Auch die Glasherstellung schauten sie unseren Handwerkern ab. Selbst das Kartenspiel und das königliche Schach erlernten sie von uns.

Unerwähnt blieb in Ibn ed-Drudas Aufzeichnungen eine Rose, die gleichfalls im
13. Jahrhundert von Kreuzrittern nach Europa gebracht wurde, die Damaszenerrose.

In meinen jungen Jahren war ich einmal für länger in England, und es blieb nicht aus, daß ich Dutzenden von Engländern begegnete, die förmlich nichts anderes als ihre Gärten im Kopf hatten. Vor allem waren es Rosengärtner und –züchter. Gartennärrischere Leute sind nicht vorstellbar. Sie leben für ihre Gärten, in ihren Gärten und von ihren Gärten. Und nicht wenige von ihnen sind so stolz auf ihre Arbeit, sie zeigen ihre über die Jahre immer umfangreicheren Gärten her wie Schloßbesitzer ihre Parks. Bei einem solchen Gärtner aus Leidenschaft wohnte ich einmal einen Sommer lang. Alle Jahre kaufte er ein Stück benachbartes Land dazu und vergrößerte seinen riesigen Garten.

Die Geschichten seiner unüberschaubaren Schar von Rosen, Herkunft, Verträglichkeit der Witterung, ihre Varietäten, ihre Anfälligkeit für Krankheiten, all das sammelte er in einem Zettelkasten. Oft war er damit beschäftigt, die Steckbriefe, wie er sie nannte, zu vervollkommnen. Manchmal entdeckte er in einem Buch einen Bericht aus früheren Jahrhunderten, dann schwelgte er in seinem Glück und erweiterte sein Wissen und seinen Zettelkasten.

Eines Tags fand er in einem Buch aus dem 17. Jahrhundert eine Stelle, die sich mit der Herkunft der Damaszenerrose beschäftigte. Er las mir die Sätze vor. Ich versuche, mich an sie zu erinnern.

König Richard I von England, den sie Richard Löwenherz nannten, focht stets mit Klingen wie sie in ihrer Schönheit und Haltbarkeit nur in Damaskus zu beschaffen waren. Er hatte in seinem Troß einen Waffenschmied aus Dorchester. Dieser Mann, er hieß Charles, nicht nur Vertrauter Richards, sondern auch sein Freund, war in Kämpfen stets an Richards Seite.

So auch bei der Einnahme von Akkon 1191, das in der Folgezeit ein Jahrhundert lang der Hauptsitz der Kreuzfahrer wurde. Während der Wochen in Akkon bekam Charles den Auftrag, seinem König das kostbarste Schwert aufzutreiben, das er innerhalb der Mauern von Damaskus finden könne. Charles muß sich tagelang in Damaskus herumgetrieben haben. In seiner Begleitung hatte er einen Kaufmann aus Smyrna, einen Muslim, der hatte sich zum Christentum bekehren lassen. Aber für diesmal ließ er den Christen beiseite, und zum Wohl aller spielte er die Rolle eines einfältigen Arabers, der seinem vornehmen Herrn zu Diensten sei. Dieser sein Herr sei so vornehm, er spreche nicht mit gewöhnlichen Leuten.

So streiften sie durch Damaskus, durch jeden Winkel der Basare, durch alle Gassen und Straßen, sich als Kaufleute ausgebend, unerkannt als die Boten eines verhaßten Königs aus England.

Sie hatten inzwischen viele Klingen bewundert, geprüft, begutachtet, es waren darunter welche aus Indien, Persien, Turkmenistan. Am siebten Tag trafen sie auf einen alten Mann, der unter einem Torbogen saß, Brotkrumen zu Kügelchen formte, die er dann auf Tauben schnipste, die die Krumen mit den Schnäbeln auffingen. Der Alte achtete nicht auf die beiden Männer, die sich in seiner Nähe aufs Pflaster niederließen. Hinter seinem Rücken lehnte ein Schachbrett an der Mauer.

Schließlich sprach ihn der Kaufmann an, ob er schon wisse, was in Akkon geschehen sei. Alle in Damaskus sprachen vom Fall Akkons und ließen die Tapferkeit beider Seiten nicht unerwähnt. Der Anführer der Gegner, so sagten die Leute, sei ein wahrer Löwe im Kampf. Aber bald werde auf ihrer Seite auch ein Löwe erstehen.

Sie suchten ein Schwert, das alle anderen Schwerter an Schönheit und Kostbarkeit überträfe, sagte der Kaufmann.

Den Alten beeindruckte das Gerede der Leute nicht. Was heißt schon ein Löwe zu sein mit einem Schwert? Ich kenne sie alle die Schwertmacher, und ich kenne die Lager, wo sie ihre Schätze horten. Ich selbst war einer der besten dieses Gewerbes. Versteht sich einer von Euch aufs Schachspiel? Das ist ein Kampf edlerer Natur. Und nach einigem Hin und Her nahm Charles die Aufforderung zum Schachspiel an. Keiner der Spieler sprach ein Wort. Wenn mein Herr gewinnt, sagte der Kaufmann, als er bemerkte, es könne für Charles siegreich ausgehn, könnten wir dann erfahren, wo es das kostbarste Schwert in Damaskus gibt? Ja, sagte der Alte, gewinne aber ich, dann zeige ich Euch etwas Kostbareres als ein Schwert.

Der Alte gewann, und als sie ihm folgten, gelangten sie in einen Garten voller seltsamer Pflanzen und Wohlgerüche. Hier, sagte der Alte, und machte die beiden Fremden aufmerksam auf eine Rose, das ist eine Damaszenerrose. Sie waren sprachlos. Sie hatten etwas Großartiges erwartet, etwas, das sie in Erstauen versetzen würde, und nun das, eine einfache Rose.

Glaubt mir, diese Rose ist eines der großartigsten Gewächse meines an vielen Pflanzen reichen Gartens. Ein Freund von mir hat sie gezüchtet, ein Weiser, ich möchte sagen, ein Alchemist. Er und diese unscheinbare Rose haben mich verwandelt. Jeder, der sie begreift, wird verwandelt. Ich mache Euch einen Rosenstock zum Geschenk für Euern Herrn. Ihr braucht Euch nicht erklären, ich weiß, woher ihr kommt und welchem König ihr dient. Findet ihm ein Schwert, wo es Euch beliebt, Damaskus ist voll davon, aber diese Rose hier ist einmalig, es gibt sie nur in meinem Garten.

Und sagt Eurem König, er wird erst dann glücklich, wenn er eine Damaszenerrose höher schätzt als ein Damaszenerschwert. Mit diesen Worten und einem Rosenstock machten sich Charles und sein Begleiter, nicht ohne sich tief vor ihrem Gastgeber verneigt zu haben, auf den Weg.

Nachdem mein englischer Gartennarr mir diese Geschichte vorgelesen hatte, sagte er: Ob sie nun stimmt oder nicht, diese Geschichte, wahr ist sie jedenfalls. Nachgewiesen in England ist die Damaszenerrose seit dem 13. Jahrhundert. Mit Richards Flotte könnte sie London erreicht haben. Und hier steht eine Eintragung aus einer andern Quelle. Warten Sie, er nahm seinen Zettelkasten zur Hand, hier steht: Die Damaszenerrose gilt in Zypern als glücksbringend in Liebeshändel.

Das ist doch nicht unwichtig, finden Sie nicht? Sie steht im Ruf, Liebesbande zu knüpfen. Er zwinkerte mir zu, dieser köstliche Engländer, was für die Zyprioten gilt, könnte doch auch für Engländer und Deutsche gelten.

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