Der digitale Euro: alternativlose Zukunftsvision? „Ein weiterer Schritt hin zur Überwachung“
Von Daniel Weinmann
Seit dem Ausbruch der Coronakrise im Frühjahr 2020 zahlen immer weniger Menschen mit Bargeld. Im vergangenen Jahr seien im stationären Einzelhandel 38,5 Prozent der Umsätze bar bezahlt worden, berichtet das Kölner Handelsforschungsinstitut EHI Anfang Mai in seiner Studie „„Zahlungssysteme im Einzelhandel 2022“. Vor der Pandemie – im Jahr 2019 – waren es noch 46,5 Prozent.
Zu dieser Entwicklung passt die geplante Einführung eines Prototyps des digitalen Euros durch die Europäische Zentralbank wie die berühmte Faust aufs Auge. Die digitale Version der Gemeinschaftswährung soll die Alternative zum Bargeld werden und den Platzhirschen wie Paypal, Apple und Google Pay oder der kontaktlosen Kartenzahlung Konkurrenz machen. “In der immer wichtiger werdenden digitalen Welt gibt es kein Pendant von der Europäischen Zentralbank. In diese Lücke soll der digitale Euro springen,” brachte es der langjährige Experte für Bezahlverfahren Ernst Stahl gegenüber „Deutschlandfunk Kultur“ kürzlich auf den Punkt.
Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, hält Kryptowährungen für wertlos. In einem Interview mit dem niederländischen Fernsehen hat sich die Hüterin des Euro für eine Regulierung von Kryptowährungen ausgesprochen, um Menschen davon abzuhalten, mit ihren Ersparnissen darauf zu spekulieren.
„Meine sehr nüchterne Einschätzung ist, dass Kryptowährungen nichts wert sind, dass sie auf Nichts basieren, dass es keinen zugrunde liegenden Vermögenswert gibt, der als Sicherheitsanker fungiert.“ Ihre Aussage war gut getimed: In den vergangenen Wochen verloren Kryptowährungen unter Führung des Bitcoin deutlich an Wert.
»Angst machen, damit wir den digitalen Euro als „Alternative“ akzeptieren«
Ganz anders sieht sie den von der EZB geplanten Digital-Euro. „An dem Tag, an dem wir die digitale Währung der Zentralbank herausbringen, einen digitalen Euro, werde ich garantieren, dass die Zentralbank dahintersteht, und ich denke, dass sie sich stark von vielen dieser Dinge unterscheidet“, betonte Lagarde.
Finanzexperte Niko Jilch wittert dahinter ein durchdachtes Kalkül. „Sie muss nur Angst davor machen, damit wir den digitalen Euro als „Alternative“ akzeptieren, wenn er mal kommt“, sagte Jilch gegenüber der „Welt“. Lagarde zeigt sich längst siegesgewiss: „Wir werden einen digitalen Euro haben“, unterstrich die EZB-Chefin bereits im Januar vergangenen Jahres gegenüber „Reuters Next“. Seit Oktober arbeitet die Notenbank an ihrer Vision einer gesamteuropäischen digitalen Zentralbankwährung.
Die fachlich wenig fundierte Schmähung des Bitcoin durch die EZB-Präsidentin birgt enorme Unsicherheiten. „Der digitale Euro ist zentralisiert, seine Zukunft und Geldpolitik ist ungewiss und wird von einem Rat entschieden, wie auch beim analogen Euro. Beim Bitcoin ist das alles transparent und festgeschrieben“, so Finanzfachmann Jilch, der immer wieder als Speaker und Lektor bei Kongressen, Banken und an Bildungseinrichtungen auftritt.
»Der digitale Euro wird nicht die Anonymität des Bargelds bieten können«
Seine Bedenken sind indes nur ein Teil der Medaille. Denn das Projekt um den digitalen Euro schürt darüber hinaus die Sorge um mangelnde Transparenz und allzu tiefen Eingriffen durch die Regierungen – und alarmiert Datenschützer. „Er wird unsere Privatsphäre nicht wahren, wie das derzeit Bargeld tut. Es ist leider ein weiterer Schritt hin zur Überwachung – deswegen sind auch viele dagegen“, warnt Jilch.
Selbst Bundesbank-Präsident Jens Weidmann gestand im vergangenen November anlässlich eines Symposiums der Bundesbank in Berlin ein: „Klar ist: Der digitale Euro wird nicht die Anonymität des Bargelds bieten können. Schließlich hinterlassen digitale Zahlungen immer Spuren.“
Noch ist der digitale Euro zwar keine beschlossene Sache, das Vorhaben wird bis Oktober 2023 intensiv geprüft. Erst dann will die Europäische Zentralbank entscheiden. Doch wenig spricht dafür, dass es nicht zur Einführung der digitalen Gemeinschaftswährung kommt – Überwachung inklusive.