Die Würde des Scheiterns

An seinen Schwiegervater Lemuel Shaw schrieb der amerikanische Autor Herman Melville: Soweit es mich betrifft, als Individuum & unabhängig vom Geldbeutel, ist es mein ernstliches Verlangen, solche Bücher zu schreiben, die man gemeinhin als gescheitert bezeichnet.

Nun, Melville war nicht unabhängig vom Geldbeutel und er schrieb anfangs halbwegs erfolgreiche Bücher, etwa Typee oder Weißjacke. Bücher, die ihn als Autor bekannt machten, die ihn aber nicht besonders überzeugten, da er sich bemüht hatte, dem Geschmack seiner Leser zu gefallen. Der Leser des 19. Jahrhunderts war überwiegend weiblichen Geschlechts. Männer hatten anderes zu tun, sie jagten dem Geld nach. (Damals auch schon in den Gefilden der Wall-Street). Über das Lob der Rezensenten wunderte sich Melville: Ein Dings, von dem ich als Autor weiß, es ist Müll, geschrieben, um etwas Tabak zu kaufen. Es sei besser, so Melville, auf der Suche nach schriftstellerischer Wirklichkeit (nach der Suche originärer Dichtkunst) zu scheitern, als mit bloßer Nachahmung Erfolg zu haben. Scheitern als Markenzeichen literarischer Würde. Es war lange Zeit tatsächlich würdevoller zu scheitern und in fragwürdiger Gesellschaft sein Scheitern zu ertragen. Vielfach ist es heute anders. Der zeitgenössische Schriftsteller möchte ein eignes Marketingbüro betreiben, linkerhand ein teures Loft in New York bewohnen und sich regelmäßig mit seinem Finanzberater treffen.

Bernhard Horwatitsch - Die Würde des Scheiterns

Illustration aus Moby-Dick: Rockwell Kent 1930

Es geht nicht eigentlich ums Scheitern. Es geht nicht darum, zu hungern und ein zurückgezogenes Leben zu führen. Es geht um das literarische Wagnis. Was Melville uns Heutigen sagen kann? Mutig sein. Er war jahrelang Matrose auf einem Walfischfänger, und das führte zu seinem riesigen Werk Moby-Dick; oder: Der Wal. Er hat es nie einen Roman genannt, dieses 1000 Seiten lange Unding von Buch, in das er seine ganze KRAFT UND ERFAHRUNG steckte. Und dieses Buch, von dem einige sagen, es sei eins der wunderbarsten und bewunderungswürdigsten Bücher der Weltliteratur war finanziell eine einzige Pleite. Zu seiner Zeit, in der Welt des Mammons, war Herman Melville gescheitert, in der Welt der Dichtkunst wurde er weltberühmt.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert