WELTWIRTSCHAFTSKRISE 2.0 – WO WIR HEUTE STEHEN
Nachfolgend Max Ottes Antworten auf die ersten der 99 wichtigsten Fragen nach dem Corona-Crash …
Frage 1: Als Ihr Buch „Der Crash kommt“ 2006 erschien, war es erst einmal kein Bestseller. Erst mit der Krise wurde das Buch zu einem überwältigenden Erfolg. Sie waren zehn Jahre lang in den großen Talkshows präsent, gaben Hunderte von Interviews und wurden im Bundestag angehört. Was überwog damals bei Ihnen – die Befriedigung, recht gehabt zu haben, oder die Enttäuschung darüber, dass niemand die Warnsignale ernst genommen hat?
Max Otte: Ich sah die ungesunden Entwicklungen in der Weltwirtschaft spätestens im Jahr 2005 klar und deutlich. Das und nichts anderes veranlasste mich, dieses Buch zu schreiben. Wobei ich nicht mit einer besonders großen Aufmerksamkeit gerechnet habe, geschweige denn gehört zu werden. Ich war mir einfach sehr sicher, dass die Krise kommen würde und wollte ein Signal setzen. Und dass die Dinge weitgehend so eingetreten sind, wie ich sie 2006 beschrieben habe, hat mich nicht triumphieren lassen. Gefreut habe ich mich aber, dass das Buch fast eine halbe Million Käufer fand.
Frage 2 : Von der „Kassandra aus Worms“ (changex.de) stiegen Sie zu „Deutschlands Krisenerklärer“ (Handelsblatt), „einem der renommiertesten Ökonomen Deutschlands“ (Die Zeit) und „Deutschlands wohl bekanntestem Crash-Guru aller Zeiten“ (Daniel Stelter) auf. In letzter Zeit hört man weniger von Ihnen. Was ist passiert?
Max Otte: Meine Kapitalismus- und Demokratiepolitik kam seinerzeit gut an. Am 14. April 2015 sagte ich bei „Pelzig hält sich“, dass die Demokratie zu über 90 Prozent beschädigt sei. Das war sicher etwas provokativ und überzogen, aber ich war damals schon überzeugt, dass bei unserer Demokratie mehr nicht bzw. falsch funktioniert als richtig läuft. Das Publikum war leicht geschockt, aber man war bereit, darüber nachzudenken. Mittlerweile ist Kritik am politischen und ökonomischen System nur noch in homöopathischen Dosen erlaubt. Und so werde ich von den Medien, die mich lange Jahre häufig als Finanzexperten eingeladen haben, mehr oder weniger ignoriert. Eine der wenigen Ausnahmen waren zwei Interviews bei Phoenix am 21. Januar 2020 zum Weltwirtschaftsforum. Gleichzeitig hat sich die Weltlage dramatisch verschlechtert. Als ich das Buch „Die Krise hält sich nicht an Regeln“ im Jahr 2010 veröffentlichte, war die erste Phase der Finanzkrise vorbei. Dafür kochte die fälschlicherweise sogenannte Euro-Krise hoch, in der Angela Merkel, Jean-Claude Juncker und Mario Draghi Griechenland, den Euro und Europa retten wollten. In meiner 2011 erschienenen Streitschrift „Stoppt das Euro-Desaster“ habe ich diese drei populistischen Falschaussagen analysiert. Wir haben weder den Euro noch Griechenland gerettet, sondern nur die Gläubiger Griechenlands. Und das auf Kosten der griechischen Bürger. Seit der Finanzkrise und Euro-Krise hatten wir: den Arabischen Frühling, den Syrien-Konflikt, der mittlerweile länger als der Zweite Weltkrieg dauert, die Ukraine-Krise, Donald Trump, den Brexit, die Aufstände in Hongkong, die Rassenunruhen in Ferguson unter Obama, die AfD, die Aufstände der Gelbwesten in Frankreich mit etlichen Toten, die Niederdrückung der Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien, Fridays for Future, Extinction Rebellion, die außenpolitischen Abenteuer der Türkei unter Erdoğan mit einer Lage im östlichen Mittelmeer, die gerade gefährlich eskaliert, und in jüngster Zeit Black Lives Matter und die Massenproteste in Weißrussland. Mit Corona bzw. COVID-19 ist endgültig der Ausnahmezustand eingetreten. Das ist kein Zufall. Irgendwie hängen alle diese Krisen zusammen. Es geht längst nicht mehr nur um die Ökonomie. Die Welt durchläuft eine tiefgreifende Systemkrise. Deswegen habe ich im Herbst 2019, dreizehn Jahre nach „Der Crash kommt“, ein neues Krisenbuch, „Weltsystemcrash – Krisen, Unruhen und die Geburt einer neuen Weltordnung“, veröffentlicht. Ich wollte die tieferen Ursachen dieser globalen Krise ausloten und erklären.
Frage: Warum haben Sie dreizehn Jahre mit diesem Buch gewartet? Krisen gab es auch vorher mehr als genug! Max Otte: Ich möchte nicht ausschließlich als das wahrgenommen werden, als das mich die Mainstream-Medien seit 2006 überwiegend sahen: ein Crashprophet. Ich bin politischer Ökonom, Publizist, Unternehmer und seit einigen Jahren auch politischer Aktivist. Ich lehrte an der Boston University, an der Hochschule Worms, der Universität Erfurt und der Karl-Franzens-Universität Graz. Die Zeit habe ich genutzt, um grundlegende politische und ökonomische Aufsätze zu schreiben, zum Beispiel zum deutschen Bankensystem sowie zu den Volks- und Raiffeisenbanken, zum Brexit und zu vielen anderen Themen. Die wichtigsten davon habe ich 2018 in einem Buch noch einmal zusammengefasst. Zudem habe ich eine kleine Unternehmensgruppe aufgebaut. Im Jahr 2006 betrieb ich einen Börsenverlag und hatte ein paar Privatkunden. Seitdem habe ich zwei weitere Unternehmen gegründet, die unter anderem sieben nachhaltige Investmentfonds nach dem Prinzip des wertorientierten Investierens (Value Investing) betreiben, und mich an einem Vermögensverwalter beteiligt. Ende 2018 zog ich aus meinen wachsenden Aktivitäten die Konsequenzen und schied aus meinem Beamtenverhältnis auf Lebenszeit an der Hochschule Worms freiwillig und vom Dank des Ministers begleitet aus. Statt alle zwei oder drei Jahre ein Krisenbuch zu schreiben, engagiere ich mich heute lieber wissenschaftlich, politisch und gesellschaftlich. So habe ich auch Preise gestiftet, zum Beispiel den Oswald-Spengler-Prize, der 2018 erstmalig an den französischen Schriftsteller Michel Houellebecq ging. Dem archäologischen Forschungszentrum und Museum für menschliche Verhaltensevolution Monrepos half ich, den Human Origins Award aus der Taufe zu heben. Der erste Preisträger war der Biologe Richard Dawkins. Frage: Ihr 2019 veröffentlichtes Buch „Weltsystemcrash“ fand in den Leitmedien kaum Beachtung. Wenn es besprochen wurde, dann überwiegend negativ. Dennoch hielt sich der Titel zwölf Wochen in den Top 20 der Spiegel-Beststellerliste, einige davon sogar in den Top 10. Wie erklären Sie sich das? Das Buch wurde nicht nur ignoriert, es wurde sogar aktiv diffamiert. Buchrezensent Denis Scheck sprach im Ersten von einem „Buch, das Ekel in ihm auslöst“. Gemessen daran, dass das ein öffentlich-rechtlicher Sender ist, der auch von mir mitfinanziert wird und zur Neutralität verpflichtet ist, ist das ein starkes Stück. Es zeigt mir aber auch ganz klar, dass Scheck das Buch nicht gelesen hat. Er bezieht sich ausschließlich auf die eine oder zwei Seiten, in denen ich die Migration bei meiner Einschätzung mitbetrachte, und glaubt, ein „unappetitliches Süppchen“ entdeckt zu haben. Meine Themen sind das Finanzsystem, der Aufstieg Chinas, das Phänomen Donald Trump, der Abstieg der Mittelschicht, die Fake News und ihre tieferen Hintergründe und Ursachen. Das Buch hat 68 Druckseiten Anhang mit Anmerkungen, Quellennachweisen und Stichwortregister. Sowohl der Historiker Michael Gehler von der Universität Hildesheim als auch der Ökonom Helge Peukert von der Universität Siegen haben mir bescheinigt, dass dieses Buch von einer tieferen und fundierteren Qualität ist als Der Crash kommt und keinesfalls „populistisch“. Offensichtlich haben aber doch viele Bürgerinnen und Bürger den Wunsch nach tiefergehender Information und Aufklärung, denn „Weltsystemcrash“ war 2019 das bestverkaufte Buch des Verlags, obwohl es erst im Oktober erschien. Frage: Was erwartet uns in Ihrem neuen Buch? In meinem neuen Buch „Die Krise hält sich nicht an Regeln“ gehe ich auf die wichtigsten Themen aus „Weltsystemcrash“ ein, wobei ich mich bemüht habe, meine Kernthemen leichter lesbar darzustellen.
Bestellbar ist das Buch beim Kopp-Verlag. Auch bei Amazon, wenns nicht anders geht.