Die Kerze

Zeichnung: Rolf Hannes

Mein Fahrrad ist kaputt. Es ist der Sattel. Beinahe hätte ich mich ordentlich hingelegt, weil der Sattel einfach nach hinten rutschte, während des Fahrens, dann lockerte sich auch noch das Lenkrad und stand quer zur Fahrtrichtung. Ich habe mir an der Wand des Hofeingangs den Ellbogen geprellt. Er war ordentlich geschwollen. Jetzt ging ich heute mit dem Sattel zu dem Fahrradgeschäft gleich um die Ecke. Die ältere Frau mit dem griesgrämigen Gesicht bediente halbwegs freundlich einen älteren Mann in kurzen Hosen, der ein Rad in der Hand hielt.

Als ich drankam, sah ich ihrem Gesicht an, dass sie jetzt plante gemein zu sein. Ohne aufzuschauen – sie schrieb etwas in ihr Buchhaltungsbuch – fragte sie mich mufflig nach meinem Wunsch. Ich hatte meinen Sattel in der Hand, dachte mir, bleib freundlich, damit du bekommst, was du willst, sagte also mit süß unterlegter Stimme meinen Text. Kerzen werden nicht mehr hergestellt, sagte die Frau, zog die Mundwinkel nach unten. Sie deutete auf ein Fahrrad, das im Laden stand: Es gibt jetzt nur noch die hier.

Sie war die Fachfrau. Ließ mich allerdings im unklaren darüber, was das zu bedeuten hat. Dann kramte sie in einer Schublade und knallte einen Metallverschluß auf den Ladentisch. Offensichtlich eine sogenannte Kerze. Immerhin war ich jetzt auch schlauer. Kostenpunkt: 8,40 €. Aber ich hatte ein Problem. Die alte Kerze an meinem Sattel ließ sich nicht herunterschrauben, weil die Schraube durchdrehte. Ich fragte also, ob sie mir da irgendwie helfen könne. Das müssen Sie halt in einen Schraubstock spannen, erklärte sie mir nebenbei ohne von ihrem Buch aufzuschauen. So was hab‘ ich leider nicht. Können Sie da nichts machen? Ich blieb hartnäckig. Ich glaube, ich war noch relativ freundlich. Nein, war die trockene Antwort, dabei schrieb sie ständig irgendwas in ihr Buch.

Aha, sagte ich etwas verdutzt, wirklich nicht? Nein. Sie blieb stur: Im Moment nicht. Das hieß deutlich ÜBERHAUPT NICHT. Einen Augenblick verspürte ich Lust, meinen mitgenommenen Schraubenschlüssel auf ihren Ladentisch zu hämmern. Ich suchte Anschluß an meine Friedfertigkeit, ging kopfschüttelnd aus dem Laden und ließ die Kerze auf dem Ladentisch liegen. Ich dachte mir: Hier kauf ich nichts.

Das hat mich natürlich nicht befriedigt. Wütend, mit allen möglichen Werkzeugen, klopfte, hämmerte und zerrte ich an der alten Kerze meines Sattels und schaffte es endlich – nachdem ich mir die Finger schwarz geklopft hatte – die Kerze vom Sattel zu kriegen.

Jetzt hätte ich die neue Kerze aufmontieren und heute bequem mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren können. Aber ich wollte ja meine Rache haben.

So ist das also. Na, dann fahr ich eben heute mal S-Bahn.

 

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