Die Glasmarie

Zeichnung: Rolf Hannes

Sie geht auf Ende vierzig, war einmal verheiratet mit einem Bildhauer namens Hölzle und ist es seit neuestem mit einem Tchechen, dem Franticek Hauner, einem Glaskünstler wie sie. Zwei-, dreimal war sie in der Psychiatrie. Mit Vorliebe macht sie Blumen aus Glasscherben. Riesige Sträuße entstehen so. Aufgefädelt an Drähten reiht sie Scherbe an Scherbe, die sie vorher ritzt und ätzt.

Franticek lernte Marie auf einem Glaskünstler-Symposium kennen. Franticec verliebte sich in Marie. Er ist Lehrer im Böhmischen an einer Glaskunst-Schule. Zwei Jahre lang hat er um Marie geworben. Dann gab sie es auf, ihm zu widerstehn. Sie machten eine großartige Hochzeit auf dem Land, ganz tchechisch, mit tagelangem Essen, Trinken, Seufzen, Beäugen, Herumliegen, Herumsitzen, Gesprächen über die Kunst und allerlei Krankheiten, das Wetter, entbehrliche und unentbehrliche Sachen, den Umgang mit Freunden und Verwandten, Behörden, Kräutern, Kindern, Katzen.

Marie ließ sich einfangen vom kleinen Glück sanfter Begehrlichkeit. Sie reihte die Tage aneinander wie ihre Glasscherben. In jeder einzelnen widerspiegelten sich die Formen und Farben der benachbarten Scherbe. Und je mehr sie zueinander fanden, umso vielfältiger wurde das Spiel des Miteinander und Durcheinander. Das Auge, beschäftigt mit der Gestalt eines gläsernen Blatts, konnte nicht umhin, alle andern Blätter in dieses eine Blatt mit einzubeziehen. Marie erinnerte sich der willkürlichen Gelassenheit der Tage in der psychiatrischen Anstalt. Die Zeichen, die sie in ihre Scherben ritzte, waren nichts andres, als die geübten Griffe und Anweisungen der Pflegerinnen, die dreiste Übereinstimmung von Ordnung und Hilfe, die wohlüberlegten unverständlichen Gesten und Anordnungen der Ärzte, in ihre Gefühle zu übersetzen.

Überhaupt ihre Gefühle. Franticek hatte auch Gefühle. Aber es waren nicht ihre. Sie ärgerte sich fast, wenn sie es merkte. Sie kam sich undankbar vor und gemein, wenn sie auf Gefühlsausbrüche Franticeks nur zögernd oder gar widerstrebend antwortete. Er hätte es gern gesehn, wenn sie zusammengezogen wären, jetzt, nachdem sie Frau Haunerova war. Er hatte ein kleines eignes Haus. Sein Einkommen war gesichert. Seine schöne 15jährige Tochter (auch Franticek war schon einmal verheiratet gewesen), die bei ihm lebte, hätte nichts dagegen, sagte er. Das war´s, was sie beunruhigte. Seine Gefühle flossen über, sie waren unstillbares Wieder und Wieder. Ihre Gefühle versteckten sich, sie waren ein Nichtmehr, Nichtmehr, Nichtmehr. Frau Haunerova zog es vor, ihre Werkstatt und ihr Zuhause jenseits der Grenze im Bayrischen Wald zu belassen. Es ist etwas andres, ob jemandes Gefühl spricht, oder jemand sein Gefühl ausspricht, sagte Marie Haunerova.

Ich liebe dich, sagte Franticek in hundert und einer slavischen Übertreibung. Er sagt es in aller Geradheit und Kindlichkeit, die er sich über die Jahre bewahrt hat. Sie lächelt geradeso kindlich, aber etwas darauf zu antworten, käme ihr wie Verrat vor. Nach Tagen der fröhlichen Ausgelassenheit zieht sie unbekümmert um die Vorstellungen ihres Mannes, deren Freunde, seiner Tochter, ihrer Tochter (sie hat desgleichen eine überaus anmutige schöne Tochter), ihrer Freundinnen und Bekannten in ihre Werkstatt zurück.

Franticek besucht seine Frau öfters. Er bleibt für ein paar Tage und Nächte, bewundert ihre neu entstandenen gläsernen Blumen, schwört ihr seine Liebe, kocht böhmische, schlesische, kroatische, ungarische Gerichte und kehrt dann zu seiner Tochter und Schule, seinem Häuschen, seinem Gärtchen zurück. Hin und wieder besucht Marie ihren Mann. Diese Besuche geschehen meist unangemeldet. Nach ein paar Tagen böhmischer Behaglichkeit (so nennt sie es), treibt es sie wieder nachhause in ihre Werkstatt. Und um sich einzufinden in ihre Arbeit, zerschlägt sie mit einem Hammer farbige Glasscheiben in blattgroße Stücke.

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