Es war einmal eine kinderlose Frau in den besten Jahren, die lebte allein in ihrem kleinen eignen Haus, und wenngleich sie recht gesellig sein konnte und ein fröhlicher, mitteilsamer Mensch war, so schätzte sie es, in ihrem Häuschen für sich allein zu bleiben. In ihrer Nachbarschaft lebte das genaue Gegenteil von Frau. Sie war nicht allein, oh nein, sie hatte wie sichs gehört einen Mann und viele Kinder, ich glaube vier oder fünf, Buben und Mädchen, hübsch verteilt.
Die beiden Frauen wohnten auf Rufweite voneinander, aber wenn sie an der jeweiligen Grenze des Grundstücks aufeinander zugegangen wären, hätten sie sich mit der Nasenspitze berühren können. Das geschah natürlich nie. Denn wenn die eine Frau, die mit Mann und Kindern, ihre Nasenspitze schon ein bißchen über den Zaun gereckt hatte, so war die andre, falls sie sich ebenfalls auf ihrem Grundstück zu schaffen machte, gerade in der entgegengesetzten Ecke. So war es jedenfalls meistens, wenn es sich einrichten ließ. Die Frau mit Familie war schon etwas ältlich, sie war nicht gerade häßlich, nur, wenn sie ihren Mund, der von Natur keine Schönheit war, zu einem Scbiefmaul verzog, so hatte sie etwas Gemeines, sogar Bösartiges im Gesicht. Das war das Gesicht, wenn ihr etwas nicht paßte. Das kam öfters vor und nicht selten im Zusammenhang mit ihrer jüngeren Nachbarin, die, sonst wäre das Schiefmaul weniger schief ausgefallen, hübsch und fröhlich war und zu manchem Scherz bereit. Und wenn es nun unvermeidlicherweise zu einer Begegnung kam, sagte die Junge zu der Alten herzlich guten Tag und hatte nichts weniger vor, als arglos weiterzugehn. Die Alte hielt sie jedoch fest, indem sie sagte, sie habe neulich dies und gestern das. Sie habe spät abends Licht aus ihrer Kellerluke fallen sehn. Sie habe sich gedacht, es ist vergessen worden. Kurz darauf sei es verlöscht. Nun ja, sagte sie, derweil sie ihren Mund immer schiefer zog, sie werden wohl die Kartoffeln für den nächsten Tag geholt haben. Nein, erwiderte die junge Frau, ich hole nie die Kartoffeln für den nächsten Tag aus dem Keller, es wird wohl eine Flasche guten Weins gewesen sein. So, sagte die Alte, und ihre Gedanken waren nicht weniger häßlich als ihr Gesicht, da werden sie nicht allein gewesen sein.
Ich bin nie allein, wenn ich einen besonderen Wein aufmache. Damit verabschiedete sie sich und ließ die Alte stehn. Sie ärgerte sich, warum sie nicht einfach gelogen und es bei Kartoffeln belassen hatte.
So oder ähnlich verliefen die Gespräche zwischen diesen beiden unähnlichen Frauen. Es ist der jüngeren nicht zu verdenken, wenn sie möglichst der alten aus dem Weg ging.
Eines Abends, es war ein finsterer, bitterkalter Winterabend, näherte sich die Alte dem Häuschen der Jungen unter dem Vorwand, sie könne ihr, wenn sie wolle, versteht sich, dies oder das aus der Stadt mitbringen. Zu dieser Jahreszeit, wo die Wege so beschwerlich sind und derlei. Das war der Vorwand, in Wahrheit wollte sie die Junge nur ausspionieren. Sah sie nicht verräterische Schatten über die Vorhänge gleiten? Am Ende gibt sie ein Fest. Unter dem Fenster hielt sie inne. Da hörte sie die im Hause sagen, sie hörte es sie aufgeheitert rufen: Kommt her, meine drei heißen Gesellen, wir wollen uns eine schöne Nacht machen.
Eine heiße Nacht und gleich drei. Das Schiefmaul lief nachhause. Entsetzlich, unaussprechbar, was da in ihrer Nachbarschaft geschah. Am andern Morgen, als es dämmerte, war sie auf den Beinen, es war ein Sonntag. Ihr Mann sagte: Frau, heute können wir ausschlafen. Ich seh dich im Mantel. Was hast du vor? Draußen ist es sehr kalt.
Ja, ja, sagte die Frau, es ist so kalt, daß es einigen nicht heiß genug zugehn kann. Der Mann hatte sich in sein Kissen gedreht und versuchte, weiterzuschlafen.
Die Alte zog es zum Haus der Nachbarin. Das war die Stunde, wo sich, bevor es hell wird, gut davonschleichen läßt, ohne gesehen zu werden. Sie stand im Schutz eines Hollerbuschs an dem Fenster, von dem sie wußte, daß das Schlafzimmer dahinterlag. Da hörte sie die Nachbarin sagen: Nun, meine Bettgenossen, ihr taugt nichts mehr. Weg mit euch, ich muß euch loswerden. Dann sah und hörte sie, wie die junge Frau offenbar etwas wegschleppte nach nebenan.
Die Alte stolperte ungesehn in ihr Haus zurück, angefüllt mit Entsetzen und der Gewißheit, nicht nur der Verworfenheit, sondern auch einem Verbrechen auf der Spur zu sein.
Tagelang hing der Mund der Frau schrecklich schief. Der Mann und die Kinder mochten es gar nicht mehr mitansehn. Der Mann drängte sie, zu sagen, was ihr so querliege, aber sie konnte nicht heraus damit, weil sie die letzten Beweise noch sammeln wollte.
Da geschah es, in einem Dorf, einige Stunden weiter weg, wurden drei junge Männer vermißt. Es waren drei Tunichtgute, Raufbolde und Müßiggänger. Man vermißte sie hin und wieder, vielmehr, niemand vermißte sie eigentlich, weil niemand sie besonders mochte. Es hieß, sie sind weg, hol sie der Teufel, bei krummen Geschäften oder bei einer ausgedehnten Sauferei.
Aber unserem Schiefmaul kamen sie gerade recht. Sie meinte, es schicke sich nicht, so über Gottes Geschöpfe zu reden, und es wäre übertrieben, zu behaupten, sie brächten nur das Geld andrer Leute durch. Am Ende sei ihnen etwas zugestoßen, etwas Gräßliches, etwas Ungeheuerliches. Sie jedenfalls wisse mehr, sagte sie beim Krämer. Alle Frauen um sie herum spitzten die Ohren.
Dann mußte es so kommen. Ein Polizist kam zu der Schiefmäuligen ins Haus. Ihm sei gemeldet worden, sie wisse etwas über den Verbleib der drei jungen Vermißten. Die Kinder waren aufgeregt, ein Polizist bei ihrer Mutter. Sie hatten mitbekommen, etwas war im Busch. Die Mutter schickte sie in eine andere Kammer. Ihr Mann war bei der Arbeit, das vereinfachte die Angelegenheit. Er hatte nämlich die Angewohnheit, alles herunterzuspielen und hätte ihr womöglich bedeutet, nicht solch dumme Gedanken zu äußern. Also hatte sie freie Bahn für ihren Trumpf. Sie gab zu Protokoll: Ja, sie habe es gehört und gesehn. Drei Männer seien bei ihr gewesen, bei ihrer Nachbarin, sie hätte ja häufig Männerbesuche, wie man weiß. In dieser Nacht seien es drei gewesen.
Kommt her meine drei Gesellen, wir machen uns eine heiße Nacht, das habe ich mit diesen Ohren gehört. Müsse sie noch deutlicher werden? Am andern Morgen, ganz in der Frühe, als sie den Weg von Eis und Schnee befreite, sei sie Zeuge geworden, welch entsetzliches Ende diese ausschweifende Nacht genommen hat. Sie habe die Nachbarin vor sich hinsprechen hören: Jetzt seid ihr kalt und ich muß euch fortschaffen. Verstehen Sie, Herr Kommissar, sie hat sie kaltgemacht, wie man so sagt.
Der Polizist war fassungslos. Umgebracht? Alle drei? Er sah einen großen Fall auf sich zukommen. Und ER würde ihn lösen.
Keine Stunde verging, da wurden der jungen hübschen Frau in ihrem Häuschen Handschellen angelegt. Als die Alte sie so sah, geleitet von 2 Polizisten, richtete sich ihr Mund wieder auf.
Die junge Frau beteuerte vor dem Richter, sie hätte mit dem Verschwinden der 3 Männer nichts zu tun, sie kenne sie nicht einmal. Schlimm zu ertragen waren für sie die Fragen, ob sie denn Alkohol trinke? Wein? Schnaps? Und wie sie denn ihre Freizeit verbringe? Als sie so verhört wurde, durchsuchte ein Trupp Uniformierter ihr Haus. Sie fanden nichts. Waren sie im Keller?
Verscharrt? Vielleicht hat sie sie hinter den Weinregalen versteckt. Es gab keine Weinregale, fünf Flaschen Wein standen brav neben den Einmachgläsern. Nun solle sie, die Zeugin, einmal demonstrieren, was genau sie gesehen und gehört habe.
Es kam nicht mehr dazu, im Garten erschien ein Beamter. Die Untersuchung sofort einstellen, sagte er, alles wird zurückgepfiffen. Die verehrte Zeugin möge sich zum Untersuchungsrichter bequemen. Nun war sie es, die Alte, die abgeführt wurde, ohne Handschellen, denn sie hatte niemanden umgebracht.
Es hatte sich herumgesprochen, alle wußten es bereits. Die drei Verschwundenen waren wieder daheim. Wo sie gesteckt hatten alle Tage, wollten sie nicht sagen, warum auch? Jedermann kann sich aufhalten, wo er will, so steht´s im Gesetz. Wir sind nicht ermordet worden, wie ihr seht, im Gegenteil, wir leben noch ein bißchen mehr. Alle konnten sich überzeugen, wie ausgezeichnet es ihnen ging. Alle waren es zufrieden, bis auf eine ältliche Frau mit schiefgezogenem Mund und einem Polizisten, der seine großartige Beförderung entschwinden sah.
Der Richter atmete auf. Diese schöne junge Frau, warum sollte sie ein solches Verbrechen begehen? Eines müssen sie mir verraten, bat er die Frau zum Abschied, was hat es mit den drei heißen Gesellen auf sich?
Meine drei heißen Gesellen, lachte die Frau, sind die drei Bettsteine aus Großmutters Zeiten. Der Richter lachte mit. Die Zeugin, die ihm dieses Verhör eingebrockt hatte, verpflichtete er zu einer öffentlichen Entschuldigung. Als sie in der Zeitung erschien, hatten alle ihren Spaß, bis auf zwei, wie sich denken läßt.
Die drei losen Vögel stellten sich bei ihrer vermeintlichen Mörderin mit einigen Flaschen echten Champagner ein. Darauf wollten sie anstoßen, sie seien auch heiße Gesellen, sagten sie und ähnliche Scherze, auch wollten sie die Nachbarin an ihrem Besuch teilhaben lassen. Sie könne ruhig zusehn, wie sie ermordet würden, meinten sie. Die Alte floh in den hintersten Winkel ihres Hauses und schloß sich ein. Schade, sagten die drei losen Gesellen und ließen ihre Mörderin hochleben.