Die Brechnuß


Zeichnung: Rolf Hannes

Auf dem Katzenbuckel, der höchsten Erhebung des Odenwalds, hatte in den Zwanzigern und Dreißigern des vorigen Jahrhunderts ein Schäfer namens Bukowski seine Lieblingsrast. Manchmal blieb er mit seiner Herde dort in lauen Herbstnächten selbst übernacht. Er war vernarrt in die Lieblichkeit dieser Odenwälder Landschaft mit ihren sanftgeschwungenen Bergrücken. Wenn er in aller Frühe wach wurde, kletterte er aus seinem gesteppten Schafsfellmantel, holte sich ein wenig Tau von einigen Sträuchern in die Handflächen, strich damit übers Gesicht, rieb sich die Augen ein zweites Mal und wußte, sie waren bereit, sich am Anblick über die anderen Hügel hinweg bis ins Neckartal zu erfreuen.

Der Schäfer versorgte in seiner Herde auch sieben bis zwölf Schafe des Klosters Neuburg, sozusagen in Obhut. Doch unter den Schafen, die er seine eignen nannte, gab es einige von einem Bauern aus Buchen. Dieser Bauer war ein etwas sehr hitziger Kerl. Er behauptete öfters, wenn ihm die Schafe, so wie es vereinbart worden war, Ende des Frühjahrs zurückgebracht wurden, das seien nicht die seinen, er hätte größere, stämmigere, gesündere gehabt, und überhaupt hätte er einige neugeborene Lämmer mehr erwartet. Bukowski, der sich mit seinen Schafen gut verstand und sie auch alle kannte, wurde dann unsicher. Waren das nun die Schafe und Lämmer des Bauern, oder waren sie´s nicht. Schafe sehen sich sehr ähnlich, auch in ihren Eigenschaften, ihr Blöken ist kaum zu unterscheiden.

Bukowski sagte zum Bauern: Sieh her, wir haben sie doch an den Ohren gekennzeichnet. Diese Kerben, solche haben nur deine Schafe. Mehr Lämmer haben sie nicht geworfen. Das sagst du, erwiderte der Bauer, schon ziemlich in Fahrt, du kannst mir alles weismachen, diese Kerben sagen gar nichts.

Mit dem Kloster kam der Schäfer besser zurecht. Die Mönche waren sehr zufrieden mit seiner Arbeit, und hin und wieder fragte einer von ihnen, ob er, Bukowski, nicht ins Kloster eintreten wolle, dann bekomme er und seine Herde ein festes Zuhause. Bald wären die Stallungen so ausgebaut, da sei für seine Herde genügend Platz. Ja, sagte Bukowski, da ist was dran. Eine Familie hab ich nicht, ein eigentliches Zusause auch nicht. Ich liebe die Stille, euer einfaches Leben gefällt mir. Ich werd´s mir überlegen. Und mein treuer Hund wird sich auch ins Klosterleben fügen, nehme ich an.

Das Kloster hatte eine bewegte Vergangheit hinter sich, bis zuletzt unter immer neuen Besitzern die der klösterlichen Askese geweihten Räume in Salons umgewandelt worden waren. Nun versetzten die wiedereingekehrten Benediktiner nach und nach die ehrwürdige Abtei in den früheren Zustand. Den ehemaligen Klostergarten, den sie als eine herrschaftliche Grünanlage vorfanden, verwandelten sie in einen Gemüse- und Kräutergarten.

Wenn die Lämmer zur Welt kamen, so um die Weihnachstszeit, hielt der Schäfer seine Herde unten im Tal in einem alten Schuppen beisammen. Sommers hatte er mit einigen Laienmönchen von Neuburg soviel Heu und Stroh in den Stall geschafft, wie es fürs Fressen und Liegen und Lämmerwerfen nötig war. Das war die Zeit, wo Bukowski zum Lesen kam. Er hatte einige alte Schwarten schon zum xten Male gelesen, aber er las sie nochmal. Er war wie ein Kind, das die Geschichte, die es längst kennt, wieder und wieder hören will. Sein Lieblingsbuch war Meister Humphreys Wanduhr von Charles Dickens. Wenn er nicht las, döste er vor sich hin, guckte nach seinen Schafen, war besorgt um die Mütter, die ihre Lämmer schon hatten oder bald bekamen, summte seine Liedchen, strickte riesige Schals aus gesponnener, häkelte Wämser und Pantoffeln aus ungesponnener Wolle. Er hatte sich einen kleinen Anbau gezimmert. Darin war ein Öfchen mit einem durch den ganzen Raum gehenden Rohr, ein Tisch, der zur Hälfte von Büchern besetzt war, davor einen Hocker und in einer Ecke eine Pritsche voller Schafswollmäntel und –decken. In einer andern Ecke lag ein Haufen ungesponnener Wolle, die er, so natürlich wie sie war, von allen Spreiseln säuberte, dann auffaserte und überm Knie zu Fäden rollte. In die Wolle hineingekuschelt lag sein Hund Bobbi, ein ungarischer Schäferhund. Sagte er zu ihm, hier bleiben wir, halt die Herde zusammen, dann rührte kein Schaf sich mehr vom Fleck. So genau nahm er´s als Hirtenhund, Menschen behandelte er freundlich, nie hätte er einen angefallen.

Schluß folgt morgen.

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