Richard Fach 1. Teil

Athen, Mai 2008. Er fühlt sich wie der Geist des Flughafens. Seit fünf Stunden ist er hier, raucht eine Zigarette nach der andern, beobachtet den Fluganzeiger, der die Flüge oben wegnimmt, unten neue hinzufügt und so zum Zeitmesser für ihn wird.

Madrid 17.35 – Larnaca 17.45 – Düsseldorf 18.15, cancelled, bis zu seinem – Budapest 06.00. Zwischendurch in den Waschraum, um im Spiegel zu überprüfen, ob er noch vorhanden ist. Jetzt beschäftigt er sich damit, Fluggäste in Gruppen einzuteilen, so wie man Mayonnaise zu Mayonnaise, Ketchup zu Ketchup und Waschmittel zu Waschmittel in die Regale eines Supermarkts sortiert. Am liebsten würde er die gesamte Menschheit sortieren und in Regale stellen.

Trinken Sie ein Bier mit mir? Fach schreckt hoch. Vor ihm steht ein kräftig gebauter, ungefähr dreißig Jahre alter Mann, kurze schwarze Haare, große Nase, flackernder Blick, Jeans, schwarzes Samtjackett, eine Tasche ist ausgerissen. Fach bildet sich etwas darauf ein, Leute schnell einschätzen zu können, doch der Typ irritiert. Warum spricht er ausgerechnet ihn an…..Trinken Sie mit mir, oder haben Sie schon was vor? Was soll Fach schon vorhaben, außer auf seinen Flieger zu warten.

Sie sitzen in der Flughafenbar, gegenüber einem großen Wandspiegel. Das Gespräch schleppt sich. Fach redet, und der Fremde bestellt Bier. Fach kann erzählen, was er will, der Dunkelhaarige reagiert nicht. Er bestellt nur jede halbe Stunde zwei Bier. Dazwischen schneidet er seinem Spiegelbild Grimassen, als wenn er Gesichtsausdrücke ausprobiert, schnippt sich unsichtbare Staubkörner von der Schulter oder lacht grundlos auf.

Friedel Kantaut - Richard Fach 1

Grafik: Friedel Kantaut

Letzter Versuch. Wo kommen Sie her?Von nirgendwo.

Dann wieder Schweigen. Soll Fach gehen? Nach quälend langem Schweigen sagt der Fremde : Sieh! Er zieht den Ärmel seines Jacketts hoch und zeigt unzählige pfenniggroße Brandnarben auf seinem Unterarm: Manchmal muss ich mich bestrafen. Fach versucht zu folgen. Wofür? – Für die Schuld der Anderen.

Fach stellt sich vor, dass jeden Moment auf den Handinnenflächen des Mannes Wunden aufbrechen und Blut heraussickert. Er will gehen. Scheiß auf das Bier. Doch der Unbekannte hält ihn an der Schulter. Sein Griff ist so fest, dass es schmerzt und Fach sich nur mit Gewalt befreien könnte. Ihm wird eng, und er schwitzt. Der Fremde kramt, ohne ihn loszulassen, in seinen Jackettaschen, findet endlich ein visitenkartengroßes Stück abgenutzte Pappe und hält es Fach unter die Nase. Lies! Die Karte ist in kindlicher Schrift eng beschrieben: Dorg Man Zengo 13. 7. 1989 Alpha Proxima. Fach hat kaum Zeit zu lesen, da zieht der Dunkle die Karte schon wieder zurück, schaut ihn erwartungsvoll an, hält ihn aber weiter fest. Fach will weg und sagt: Ich verstehe. Mir kannst Du vertrauen. Verstell Dich. Tu, als wärst Du ein Irgendwer.

Der Griff lockert sich. Danke. Der Fremde steht auf, bestellt noch ein Bier, stellt es vor Fach auf den Tisch und geht.

Draußen steigt ein Flugzeug auf, als würde es von unsichtbaren Fäden in den Himmel gezogen.

Fortsetzung folgt.

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