Dichterlesung

Überraschend war ich mit meinem Rom-Roman Tod am Tiber zu einer Literaturwoche am Hochrhein eingeladen worden nebst weiteren 36 zum Teil namhaften Autorinnen und Autoren. Die Veranstaltung, gemeinsam ausgerichtet von den Bibliotheken Singens und Schaffhausens, hieß Erzählzeit ohne Grenzen und fand im April dieses Jahres statt.

Ich hatte noch nie vor Leuten gelesen, wenn man von einer Veranstaltung vor meinem Appenzeller Veloklub absieht. Aber auch der große Robert Musil las in seinem ganzen Leben nur einmal öffentlich, vor 15 Menschen in Winterthur. Ich reiste also mit dem Rad und Gepäck an, quälte mich über den Schwarzwald und bis Waldshut, gelangte am nächsten Tag, da es regnete, mit dem Zug nach Singen am Hohentwiel und bezog mein Zimmer im Holiday Inn Express. Sie hatten sogar ein Raucherzimmer.

Gegen 18 Uhr holte ein Mitarbeiter Nicole Bachmann und mich mit dem Auto ab und fuhr uns hinaus nach Mühlingen. Im Saal der Gemeinde, hoch oben gelegen und mit Palmen innen und Blick auf umliegende Hügel, las erst Nicole aus ihrem Epidemiologie-Krimi Endstation Bern mit der Heldin Lou Beck, die sympathisch, ehrlich und humorvoll ist, ganz wie ihre Schöpferin. Krimis sind ja gern autobiografisch: ein Mittel des Selbstausdrucks. Das ist bei mir genauso. Vor hundertfünfzig Jahren hätte ich Gedichte geschrieben. Nach Nicole durfte ich mich ausbreiten, und da es nur wenige Zuhörer waren, konnte ich gelassen bleiben.

Manfred Poser -Dichterlesung 1

Festung auf dem Hohentwiel, Foto: KaukOr

Dann brach der Samstag an mit meiner Solo-Lesung, die um 18 Uhr in einem großen Fahrradgeschäft stattfinden sollte. Der Morgen gab sich frisch, ich fuhr nach dem Frühstück mit dem Rad zunächst zum leicht vernachlässigten Singener Radstadion und dann hoch zur Festung auf dem Hohentwiel. Nachmittags kreuzten vor meinem Hotel zwei alte Freunde aus Radolfzell auf, die mit dem Rad gekommen waren. Wir tranken rasch ein Bier in einer Kneipe. Singen ist eine Arbeiterstadt, groß geworden mit und durch Maggi, und in den 1970er Jahren war sie sehr progressiv und ein Zentrum des Rock, wie auch heute noch. Jedenfalls ist es eine angenehme, nicht aufgeräumte und unspektakuläre Stadt.

Dann zurück ins Hotelzimmer zum Duschen. Ich packte meine Taschen, denn zum Fahrradgeschäft wollte ich radeln, das war ich mir schuldig. Es lag nur zwei Kilometer vom Hotel entfernt: Stroppa, Süddeutschlands größter E-Bike-Händler. Die Sonne schien, es war warm geworden. Ich fuhr beklommenen Gemüts hin, denn eine solche Veranstaltung macht angst und ist eine Hürde. Die Zukunft ist nur denkbar, wenn man sie hinter sich gebracht hat.

Ich hatte keinerlei Vorstellung, wie es werden würde, war zudem kaum vorbereitet. Ein paar Stellen des Romans wollte ich herauspicken, vorher von meinem Leben und den Radfahrern in Rom erzählen, klar, diese Lesung sollte ganz dem Fahrrad gewidmet sein, aber wie ich mit derart vagen Plänen eine ganze Stunde bestreiten wollte, war mir schleierhaft.

Fortsetzung folgt.

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