© Rolf Hannes
Ich bin kein Gedichteleser von Haus aus. Keine Ahnung, ob das von meinen lang zurückliegenden Schulzeiten herrührt, wo ich Gedichte auswendig lernen mußte, die mich langweilten, sogar ärgerten und manchmal in Bedrängnis brachten. Wenn ich steckenblieb, weil ich sie nicht richtig auswendig konnte, wurde mir die Schule verhaßt, das Umfeld der verdrucksten Schüler, alles um mich herum spiegelte meine Niederlage, zurück blieb eine stumme Rebellion, die ich an niemanden loswurde.
Ich mochte einige Gedichte von Heine, von Ringelnatz, Liliencron, Morgenstern, Kästner, konnte sie sogar auswendig, aber solche Gedichte waren in meiner Schule nicht gefragt.
Das alles wollte ich gar nicht sagen, sagen wollte ich: Als ich zum ersten Mal auf die Gedichte von Walle Sayer stieß, war ich gefangen, gefangen von der Schönheit und Sprachgewalt dieses Dichters.
Wenn ich mir seine Gedichte vorlese, ich muß sie mir selbst laut vorlesen, erstmal, und später meiner Frau, dann überkommt mich etwas, das ich kenne, wenn mich Musik im Innersten berührt. In der Sprache von Walle Sayer spüre ich die Musik Schuberts. Ein Schwarzwaldtal mit einem springenden, hüpfenden, murmelnden Bach, oder auch nur eine sinnenverlorene Rast in einem dörflichen Wirtshaus und Schubert und Walle Sayer werden eins. Das Dunkle, die Melancholie in Schuberts Musik, dieses Zerrissene, diese Wehmut macht erst das Strahlende noch strahlender, und genau so empfinde ich Walle Sayers Gedichte und Prosaskizzen.