Der Platz Folge 4

Es ist Sandmännchenzeit. Die Eltern haben ihren Cappuccino ausgetrunken, bezahlt, und suchen jetzt in einem Gewimmel von Fahrradhelmen auf Laufrädern, Kinderfahrrädern, Tretrollern während der Rushhour die vertrauten ein bis drei Helme. Sie sammeln sie ein wie Pilze und locken, schmeicheln und zerren ihren Nachwuchs in ihr Zuhause. Ein elektrischer Minimonstertruck aus blauem Plastik rast surrend weiter um den Platz. Trotzig steuert ein dicker Junge mit Helm das blaue Plastikungetüm auf der vergeblichen Flucht vor einer Gutenachtgeschichte. Nebelkrähen streiten um den Abfall. Der dicke Junge steuert laut meckernd seinen Truck ins Innere des Kreuzfahrtschiffs. Der Hangar schließt sich. Hier und in der rosa Buttercremetorte nebenan werden jetzt die Lichter angeschaltet. Um achtzehn Uhr rufen die Kirchenglocken die Gläubigen zum Gebet. Neues Personal betritt die Freilichtbühne. Die Lichtstimmung wechselt.

?? – Ja aber, der einzige Weg, um eine Sucht zu vermeiden, ist Polytoxikomanie – „Polytoyi.. was..? – Polytoxikomanie heißt, dass man viele unterschiedliche Drogen nimmt. Das verteilt deine Sucht auf verschiedene Drogen, und du bleibst nicht nur auf einem Stoff hängen. – Jochen, die fleischgewordene Antithese, hält wieder einen Vortrag. Glücklicherweise vergeblich. Keiner hört ihm zu, weil jeder damit beschäftigt ist, den anderen von sich zu erzählen. Auch vergeblich. Willste auch noch ein Bier? Wenn das für dich okay ist … Fach ist inzwischen wieder pleite. Es dämmert und sie stehen zu fünft vor Gums Spätkauf.


Grafik: Friedel Kantaut

Wulf hat seinen Outdoorfahrradladen eröffnet. Neben einer Linde lehnen drei geklaute Räder, daneben sitzt Wulf auf einem Campingstuhl, den Schnaps und die Luftpumpe immer in Reichweite. Unter seinem Riesenkörper mit Cowboyhut dröhnt eine Aktivbox Western und Countrymusik in den Abend. Jedes Jahr im Frühling kündigt er an, dass er seinen Laden jeden Tag, wenn es warm ist, offen haben wird. Meistens schafft er es höchstens an fünf Tagen im Jahr. Dazwischen soll er allein im Wald leben, Beeren sammeln und Kaninchen essen, sagt man. Heute verkauft Wulf wiedermal Fahrräder, pumpt Reifen auf, ölt Ketten und schraubt bei Bedarf an rostigen Gewinden. Benachbarte Fahrradfahrer nutzen dieses Reparierding gern, Wulf fühlt sich gebraucht und hat Geld, um René zu bezahlen. Gum ist es zu laut. Er befürchtet Anzeigen der Kreuzfahrer und Tortenbewohner .

War René schon da? Rosie ist aufgewacht. Nö, der kommt bestimmt noch. Trink erst mal. Rosie wankt in Gums Laden. Es ist fast dunkel bei abnehmendem Mond und die Straßenlaternen beleuchten einen steinernen Laufsteg vor dem Spätkauf. Die langbeinigen Tänzerinnen sind auf dem Heimweg. Sie schreiten an ihrem dankbaren Publikum vorbei. Das Licht des kleinen Rechtecks in ihren Händen zaubert einen blauen Schimmer auf ihre Lolitagesichter. Verloren im sozialen Netz. Mit geschmeichelter Missachtung ihres Publikums verlassen sie die Bühne. Die Ballettjungs trotten hinterher und träumen vom Twittern mit ihrer pickligen Fantasie, die unerreichbar zwei Meter vor ihnen geht.

 Wird fortgesetzt.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert