Der Brand

Die frühen Morgenstunden sollten die Schlafenden einhüllen in ihre Stille. Ich aber muss wachen und in meine Seelenräume schauen, versuche es immer wieder: kein Schlüssel passt, die Türen haben sich verformt, die Schlösser sind verschwelt. Wegen eines Lumpens in einem Karton. Damit hatten wir Öl aufgewischt.

Helianthus. Diese Gelbflammenblüten, diese einjährigen Riesen ängstigten mich als ich Kind war. Sonnenblumenbrand. Zum Schluss sehen sie aus wie tot. Zwei Meter hoch, entfärbt und tot. Meine Mutter hat oft gesagt: „Nicht dass ein Unglück passiert!“ Das mochte ich nicht hören, ich fand es dumm und kleinlich. Unkenrufe, Übermütterlichkeit.
Das Unglück. Etwas, das Brücken abbricht, das sich zwischen Vergangenheit und Zukunft brennt. Bösartig kommt der Traum, immer am frühen Morgen. Beginnt zu krakeelen, hält mir dabei eine Urne vor: meine Erinnerung. Zwei Dutzend Jahre – ein Löffelchen Asche.
Hatte ich nicht jedesmal die Litanei heruntergebetet: Ist der Herd abgeschaltet? Geh lieber nochmal gucken. Wenn ich die Wohnung verließ, legte ich manchmal die Sicherungen um, damit nicht irgendwo ein Bügeleisen glüht oder eine Kaffeemaschine einem Kurzschluss erliegt. Du übertreibst, stichelt der Bösartige, weißt doch: Das Unglück kommt über Nacht, wenn gar niemand damit rechnet. Gar niemand – so redete meine Mutter. Gar niemand hat es gewusst, geahnt.

Marlies Blauth - Der Brand
Grafik: Marlies Blauth

Im Traum kommt meine Mutter zu mir her gelaufen und ruft meinen Namen. Ich höre die Sirenen, ich sehe das fahle Licht der frühen Stunden, in das sich fressende Feuerfarben mischen. Ich höre Geschrei, weil irgendwer nicht mehr lebt oder doch noch lebt. Es ist frühmorgens, drei Uhr.

Tags drauf wate ich durch Löschwassersumpf – oder ist es der Schlamm meiner Tränen; denn zu einer Dämonenwohnung ist meine Heimstatt, das Atelier, geworden, aschegrau alles, mit ein paar Restsprenkeln Bunt. Das Gefühl des Fremdseins ist kaum noch auszuhalten; ich entferne mich. Nie wieder werde ich mir in die Nähe kommen.

Die Therapeutin staunt: Was für eine Geschichte! So etwas, meint sie, gäbe es doch eigentlich gar nicht. Wahrscheinlich hält sie mich für bescheuert: Ein Feuer, das aus dem Nichts kommt. Das eine Geisterhand oder Gotteshand gelegt hat.

Ich bin Hiob. Der Bösartige lacht (er sitzt unbemerkt hinter der Therapeutin): Mit dem verglichen geht es dir gut.

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