Datenkrake

Polizei als Datenkrake: Ausspähung unter dem Deckmantel der Terroristenjagd. “Dammbruch für die polizeiliche Arbeit”

Von Daniel Weinmann

Die Polizeibehörden in Hessen und Nordrhein-Westfalen operieren mit digitaltechnischen Überwachungskapazitäten, die Bürgerrechtler und Datenschützer gleichermaßen alarmieren. Die Zeit zum Gegensteuern drängt, denn in Bayern läuft momentan die Einführung der Plattform „Verfahrensübergreifendes Recherche- und Analysesystem“, kurz VeRA, die im nächsten Schritt auch der Bund und andere Länder übernehmen könnten.

Die hessischen Behörden rühmen sich damit, ihnen habe „Hessendata“ beim Rundumschlag gegen die selbsternannten Reichsbürger eine Festnahme ermöglicht. Die Analyse-Software habe entdeckt, dass eine Nummer aus einer Telefonüberwachung in Bayern einmal bei einem Verkehrsunfall angegeben wurde. Auf diese Weise hätten Aufenthaltsort und Personalien eines Beschuldigten festgestellt werden können.

Systeme wie „Hessendata“ durchkämmen gigantische Datenmengen, um Strukturen und Netzwerke von Verdächtigen zu identifizieren. Die hessische Variante basiert auf § 25a des Hessischen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (HSOG), das der Hessischen Polizei ermöglicht, sämtliche bei ihr gespeicherten Daten zur vorbeugenden Bekämpfung von schweren Straftaten zu analysieren. Brisant: Dies schließt auch die Einbindung von Daten aus Sozialen Medien ein.

Hessens Innenminister Peter Beuth macht sich für die Datenkrake stark: Die Software habe einen immensen Mehrwert für die polizeiliche Analyse. Die Sicherheitsorgane müssten mit der Digitalisierung Schritt halten, argumentiert der CDU-Politiker. Dabei bemüht er sich zu betonen, es gehe ihm einzig darum, Straftätern und Terroristen mit zeitgemäßen Methoden „auf den Füßen zu stehen“.

Datenschützer und Bürgerrechtler haben derweil erhebliche Bedenken. Sie fürchten, der Sicherheitsapparat greife unter dem Deckmantel der zielgerichteten Terror- und Verbrechensbekämpfung in Grundrechte ein und missachte den Schutz von Daten unbescholtener Menschen. Der größte Teil der Daten, auf die Ermittler zugreifen können, werde für ganz andere Zwecke erhoben als zur Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität.

Die Polizei-IT-Expertin Anette Brückner schrieb nach der Einführung der Analyse-Software in Hessen Ende November 2018 auf ihrem Blog „Police IT“ gar von einem „Dammbruch für die polizeiliche Arbeit“, weil erstmals Informationen aus Polizeidatenbanken voll automatisiert mit solchen aus Social-Media-Plattformen kombiniert worden seien. Die Gesellschaft laufe Gefahr, dass statt Beweisen „Analyseergebnisse aus zusammengemischten Datensammlungen“ das Vorgehen der Polizei bestimmten. Das könne sich eben „auch gegen Unschuldige und Unbeteiligte“ richten.

Viele Menschen könnten unschuldig in polizeiliche Ermittlungen einbezogen werden.

Der Hessische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Alexander Roßnagel, der am 20. Dezember vom Bundesverfassungsgericht als Sachverständiger zur mündlichen Verhandlung geladen war, betrachtet insbesondere die Reichweite des Analyse-Tools als problematisch. Es greift nämlich auf alle Daten von Funkzellenabfragen zu, durch die alle Personen, die sich mit einem Smartphone zu einer bestimmten Zeit in einem bestimmten räumlichen Bereich aufgehalten haben, erfasst werden.

Zudem wertet es sämtliche Daten des polizeilichen Dokumentationssystems aus, in dem alle Vorkommnisse, mit denen die Polizei zu tun hat, dokumentiert sind. Dies reicht von Ermittlungen zu Straftaten, über Zeugenaussagen, Verkehrsunfällen, Verlustanzeigen bis hin zu Nachbarstreitigkeiten und unbewiesenen Verdächtigungen. Dadurch besteht laut Roßnagel das Risiko, dass viele Personen in polizeiliche Ermittlungen einbezogen werden, die dort nicht hingehören. Zugriff auf diese Analyse-Software haben in Hessen über 2.000 Kriminalbeamte, die mit ihr im letzten Jahr über 14.000 Ermittlungen durchgeführt haben.

Ebenfalls kritisch sieht er die Einbeziehung der Daten von Unbeteiligten. Hintergrund: „Hessendata“ bezieht große Mengen an Informationen Unbescholtener ein, die davon nichts erfahren und die keine Chance haben, ihre Lebensführung so einzurichten, dass sie nicht erfasst werden.

»Die aktuelle Nutzung ist erst der Anfang«

Als verfassungsrechtlich problematisch erachtet Roßnagel sogar, dass die gefahrenabwehrrechtliche Vorschrift des § 25a HSOG zu vage sei. „Wenn der Anwendungsbereich so weit formuliert ist, ist es schwer in der Praxis Grenzen einzuziehen“, gibt der Datenschützer zu bedenken. Für die von der Polizei geschilderten Fälle sehr schwerer Kriminalität sei der Einsatz der Analyse-Software in Ordnung, doch sie dürfe nicht zum „Standardmittel für die polizeiliche Arbeit“ werden.

Große Vorbehalte hegt auch Ulrich Kelber. Die aktuelle Nutzung sei erst der Anfang, mahnt der Bundesdatenschutzbeauftragte. Er rechnet damit, dass schon in naher Zukunft „sehr viel mehr Stellen auf sehr viel mehr Daten“ zugreifen.

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe behandelte zwei Verfassungsbeschwerden. Als Kläger traten Journalisten, Anwälte und Aktivisten auf. Mit der Verkündung des Urteils ist frühestens in einigen Monaten zu rechnen. Es wird abzuwarten sein, ob das höchste deutsche Gericht seiner im Grundgesetz verankerten Funktion gerecht wird – oder ob die Richter einmal mehr ihre während der Merkel-Ära gezeigte Regierungstreue demonstrieren.

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