Das Übliche

Lene!, ruft mein Mann aus dem Schlafzimmer, wo sind meine Socken? Ich antworte und verbrühe mir die Finger an der Espres­somaschine: Im Schrank unten links.

Tassen auf den Tisch stellen, drei, denn Ida trinkt morgens nur Wasser. Teller, zwei, mein Mann und meine Tochter zie­hen Flocken vor, also noch zwei Schalen dazu. Dann Brot, Corn Flakes, Butter, Milch, Honig, Butter …, nein, die hab ich schon hingestellt. Wo bleibt Jan? Den Korridor runter, noch ein­mal an seine Zimmertür klopfen. Er ist wieder eingeschlafen. Ihn aufwecken. Er brummt etwas, möglicherweise ein Ja. In die Küche zurück, zwei Messer suchen, vier Löffelchen bereit legen, nein, drei, Ida trinkt morgens nur Wasser. Auf den Tisch stellen: Esslöffel, Ser­vietten, einen Untersetzer für die Espressomaschine.

Was gibt‘s? fragt Ida in die Küche eintretend, als erwarte sie eine Überraschung. Das Übliche, sage ich. Sie setzt sich hin, gibt Flocken in ihre Schale, gießt Milch drüber. Zucker? fragt sie. Ich bringe die Dose. Ida streut einen, dann einen zweiten Löffel Zucker über die Flocken, gibt mehr Milch dazu. Zu viel, zu schnell: Die Milch schwappt über den Schüsselrand. Hoppla, sagt sie. Ich hole einen Lappen, wische die Milch vom Tisch, lasse das schlappe Tuch neben meinem Teller liegen. Ungewaschen und unrasiert erscheint Jan in seiner Unterhose. Er setzt sich und starrt auf das Brot, als erkenne er es nicht. Ich schneide ihm eine Scheibe ab, lege sie auf den Teller. Was möchtest du drauf? frage ich, stelle Butter und Honig hin.

Claudia Engeler - Das Übliche

Zeichnung: Rolf Hannes

Ach, die ganze Familie beisammen, murmelt mein Mann, auf einmal in der Küche stehend. Ich räuspere mich, gieße ihm Kaffee ein, dann Milch, nur wenig, einen Kaffeelöffel Zucker. Das Leben ist kein Zuckerschlecken, sagt er. Dann schüttet er Flocken in die Schale, zu hastig. Ei­nige landen auf dem Tisch, andere am Boden. Für den Boden den Besen, für den Tisch den Lappen.

Dann setze ich mich an den Tisch, betrachte die Menschen um mich. Die junge Frau neben mir trägt eine löchrige Jeans, einen ausgeleierten Pullo­ver. Ihre Haare sind nach hinten gebunden. Ihr gegenüber sitzt ein Mann mittleren Alters, der sich beim Rasieren an zwei Stellen geschnitten hat. Ein Bluttropfen, unterdessen beinahe braun geworden, ist auf den Kragen seines Hemds getropft. Seine grauen Haare sind nicht frisiert, bestimmt nicht. Zu seiner Rechten hat ein junger Mann Platz genommen, eine durchsichtige Erscheinung. Und ich, ich sitze in meinem Nacht­hemd da, die Füße suchen nach meinen Pantoffeln.

Während der ältere Herr hörbar Kaffee trinkt, steht der junge Mann angewi­dert auf, verlässt den Tisch, sein zur Hälfte verzehrtes Honig­brot bleibt auf dem Teller liegen. Stumm zieht er sich aus dem Raum zurück. Die junge Frau blickt verstohlen auf ihr Mobiltelefon, dann auf die Küchenuhr und sagt Oh. Abrupt steht sie auf, verlässt die Wohnung. Auch der ältere Herr erhebt sich, murmelt sich an den Herd richtend, na dann, tritt in den Korridor. Wenige Minuten später höre ich zweimal die Haustür zuschlagen. Dann bin ich allein.

Auf dem Tisch bleiben gähnende Gegenstände zurück: ein offenes Honigglas, schmutziges Geschirr, eine verlassene Butter. Es ist ruhig geworden, sehr ruhig. Ich stehe auf, gieße Kaffee in eine Tasse, geh ins Wohnzimmer. Dort setze ich mich aufs Sofa und sehe die Mattscheibe des Fernsehers vor mir.

Meinen Film hab ich im Kopf.

Eine Hausfrau: modische Frisur, dezent geschminkt, adrett gekleidet, bereitet das Frühstück vor. Der Mann erscheint, küsst sie sanft auf den Mund, strei­chelt ihr lächelnd die linke Wange und setzt sich freudig er­wartend zu Tisch. Gleich darauf tauchen zwei Kinder auf. Wie aus dem Ei gepellt, grüßen ihre Eltern und nehmen am gepflegten Familientisch Platz.

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