Dankbarkeit

Dankbarkeit, versicherte mir neulich meine Ärztin, sei das beste Mittel gegen Vergeßlichkeit. Dankbarkeit würde mein Gehirn entspannen und dafür sorgen, mir künftig wieder Namen, Geburtstage und Aufträge merken zu können.

So ein Blödsinn, sagte ich mir, als ich die Praxis verließ. 40 Jahre ist es her, da sollte ich für ein dummes Firmengeschenk überschwängliche Dankbarkeit zeigen. Der Dankesbrief für das nichtssagende Geschenk blieb ungeschrieben. Ich hatte mich geweigert, einer hohlen gesellschaftlichen Konvention zu folgen. Die Querelen, die mir daraus entstanden, ertrug ich mit Stolz.

Überhaupt, für was alles ist man verpflichtet, dankbar zu sein? Für mein Leben als überforderte Hausfrau und Mutter? Oder für das Vorstadthäuschen, das hochverschuldet ist?

Wenn stumpfsinnige, widerspruchsfreie, allseits törichte Dankbarkeit etwas mit meiner Erinnerungsfähigkeit zu tun hätte, dürfte ich mich an fast nichts mehr erinnern. In mir stieg eine Mißstimmung auf, etwas wie eine trotzige Revolte gegen meine ansonsten verehrte Ärztin. Dankbarkeit? Ja! Aber nicht auf gesellschaftlich verordnete.


Zeichnung: Rolf Hannes

Plötzlich wurde mir klar, was mein Herz erwärmte, es waren die Vogelstimmen aus einem nahegelegenen Park, es war die Sonne, die gerade aus einer Wolkenbank hervorlugte. Sie forderten keine Dankbarkeit. Indem sie mich fröhlich stimmten und geborgen, bekamen sie alle Dankbarkeit der Welt.

Mir wurde bewußt, wofür ich dankbar sein wollte: für all die kleinen unscheinbaren Dinge, die meinem Leben täglich Würze geben und manchmal den Geschmack von Glück.

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