1971 hatten wir Schüler der Malklasse in Basel einen Schülerrat gegründet. Als jemand, der Ideen beisteuerte, lud ich einige Zeitgenossen ein, um uns einen Vortrag zu halten. So kam Hannes Wader, der Liedermacher, Günter Wallraff, den ich aus meiner münchner Zeit kannte, weil er damals ein Vorwort schrieb zu dem unglücklichen Büchlein Nato unser von Ploog, das ich noch unglücklicher verlegte (Bagger haben die gesamte Auflage beim Abbruch des Hauses, in dem ich gewohnt hatte, eines Tags weggeschaufelt) und Daniel Spoerri. Er hielt vor allen Kunstschülern einen kauzigen Vortrag. Er sagte z. B.: Was treibt ihr hier? Niemand lernt etwas von Belang in einer Kunstschule. Undsofort.
Er kam gerade aus Mailand, wo die Gruppe der Nouveaux Realistes (Yves Klein, Caesar, Niki Saint Phalle, Tinguely u. a.) ein großes aufsehenerregendes Bankett gefeiert hatte. Am Abend saßen wir, einige Schüler und Spoerri, in einer Beiz wie die Basler sagen, beisammen, tranken fröhlich und hörten uns seine unglaublichen Geschichten an. Die Schweiz (das Land, in dem ihm sein Onkel das Überleben vor den Nazis ermöglichte) hielt er für grundfaschistisch. Er sagte: Hier könnt ich nicht mehr leben. Allein, wenn ich mit meinem Mantel durch die Straßen gehe, er trug einen außergewöhnlich riesigen schafsfelligen (ungarischen?) Hirtenmantel, fallen die Leute fast auf die Nase. Er lebte damals in Düsseldorf, wo er ein berüchtigt berühmtes Lokal betrieb. In dem bin ich Jahre später einmal eingekehrt, mit Maria Krahs. Seine Spezialität waren exotische Speisen, etwa Termiten in Pfannkuchen, Chow-chowzunge, Klapperschlangen-Geraspel und derlei. Ganz hinten in der Karte fanden dann die Leute, denen es grauste, einige europäische Gerichte, Steaks und derlei. Aber selbst davor grauste es einignen ein wenig, weil man nicht sicher sein konnte, ob das Rindfleisch nicht vom Schindanger war.
Spoeri erzählte in seinem Vortrag von der Eröffnung des Lokals. Er hatte die Schickeria Düsseldorfs eingeladen, stellte sich ans Mikrofon und sagte etwa: Bitte, verzeihen Sie, ich kann es Ihnen nicht verschweigen, das Fleisch, das Sie hier essen, ist dummerweise aus einer Notschlachtung, also von der Freibank, aber ansonsten ganz in Orndung.
Einigen schlug diese Mitteilung auf den Magen, sie hörten auf zu essen.
Nach einer Weile trat Spoerri nochmals ans Mikrofon: Entschuldigen Sie, ich muß meinen Koch mißverstanden haben, richtig ist, daß er meinte, er hätte genausogut Fleisch von einer notgeschlachteten Kuh nehmen können. Also, Sie können beruhigt weiteressen, es ist alles bestens.
Das Ergebnis war: jetzt hörten alle auf zu essen. Und das war beabsichtigt, denn Spoerri hatte gewettet, niemand könne nach zwei solchen Meldungen noch einen Bissen herunterkriegen. Soviel hatte er schon beobachtet: eine Kehrtwendung vollziehen Hartgesottene, aber eine zweite verträgt niemand. Erst dies, dann das. Alles konnte möglich sein. Das Vertrauen war dahin.
Das war Spoerris Anliegen, herauszufinden, daß im Kopf gegesssen wird. Das Fleisch war von der auserlesensten Sorte, aber niemand konnte es mehr esssen.
Es hatte sich schon zu uns Schülern herumgesprochen, wie sehr Spoeri diese Scherze ums Essen genoß. So hatten wir eine Überraschung für ihn vorbereitet. Wir luden ihn in die Wohnung eines Schülers zum Abendessen ein.
Es gab die längsten Spaghetti, die wir auftreiben konnten, giftgrün mit Lebensmittelfarbe eingefärbt. Teuflisches fluoriszierendes Licht besorgte den Rest. Niemand von uns kriegte drei Spaghetti hinunter. Aber der Spaß war gelungen. Anschließend saßen wir, wie gesagt, in einem Lokal und holten das Essen nach.
An einem Nebentisch saß Spoerris basler Galerist Handschin. Immer wieder mal schaute er zu uns herüber und ermahnte Spoerri, den Zug nicht zu verpassen. Handschin fühlte sich für seinen Künstler verantwortlich, wahrscheinlich bezahlte er seine Spesen. Es paßte ihm nicht, ihn so ausgelassen zwischen uns Schülern zu erleben (er zog uns ihm vor), und er verpaßte einen Zug nach dem andern.
Spoerri verzichtete auf den Obulus, den wir ihm für den Vortrag schuldeten und knüpfte folgende Bedingung daran. Wir sollten für die ganze Summe Bienenstisch kaufen, ihn auf ein Wägelchen packen, und den Bienenstich auf dem Schulhof an jedermann verteilen.
So geschah´s. Wir drehten eine Videosequenz davon, schickten sie an Spoerri, und er und wir waren´s zufrieden.