Burano

© R. H.

Sie ist die kleinste bewohnte Insel von allen venezianischen, wenn man von Torcello absieht, auf der nur mehr ein Dutzend Menschen von einem Restaurant und dem Gemüseanbau leben. Zwischen Burano und Venedig liegt Murano, sie bereitet einen vor: ihre Häuser sind nicht halb so prächtig, nicht halb so groß wie die Venedigs. Und dann Burano, mit Häusern nicht halb so groß wie die Muranos, von Pracht ganz zu schweigen. Der erste Eindruck ist der eines Spielzeugdorfs. Liliputland. Die in allen Farben hübsch gestrichenen Häuschen stehen da wie für eine Theaterkulisse gemacht. Kein großes Theater, ländliches Stegreiftheater, eine kleine Commedia dell´arte. Wo von drei Häusern das mittlere ein wenig zurückgesetzt steht, braucht es nur ein Laken auf einer Wäscheleine, und die Bühne ist bereitet.

Als wir zwei Männer sahen, die eine Leiter trugen, sagte meine Frau: Das hat mit Arbeit nichts zu tun. Sie tragen sie nur zum Spaß. Sie gingen auf ein Haus zu, aus dessen kleinem Fenster in der Giebelspitze ein Eisenstück herausragte, woran ein Flaschenzug hing. Auf halbem Weg hielten sie an, legten die Leiter behutsam aufs Pflaster und wechselten die Stellung. Der zuerst hinten trug, schritt jetzt vorne und umgekehrt. Aber nicht nur die Reihenfolge wechselten sie, sie wechselten auch die Schultern. Bevor sie die Leiter hochhoben, bedeutete der Vordere seinem Kollegen, auf welche Schulterseite die Leiter nun zu liegen käme. Er zeigte das an, indem er mit der flachen Hand die Stelle tätschelte. Am Ziel angekommen, waren sie sich nicht schlüssig, welches Ende der Leiter an die Hauswand zu lehnen sei. Nur Eingeweihte wissen, manche Leitern sind mit zweierlei Enden ausgerüstet.

Solche Männer haben zuhause Frauen, die mit flinken Händen unermüdlich Spitzen klöppeln. Nicht alle Touristen können echte erwarten, das ist einfach nicht zu schaffen, also schummeln die gewitzten Frauen Fabrikware darunter. Das geben sie freimütig zu, nur von der, die sie einem unter die Nase halten, beteuern sie, sie sei echt und fassen sich ans Herz.

Viele der kleinen Häuser haben so wenig Platz, da müssen nasse Stiefel und Schuhe draußen bleiben. Sie stehen aufgereiht in den Türecken oder auf den Fenstersimsen, an denen auch die regennassen Schirme hängen. Hinter der Haustür liegt nämlich gleich die gute Stube. Solch kleine Inseln wie Burano müssen haushalten mit jedem Quadratmeter Boden. Manchmal haben sie nichtmal Platz für Bäume oder Gärten. Nur eines haben sie im Übermaß, Sinn für Schicklichkeit und Ordnung. Ich habe Inseln besucht, etwa vor der Atlantikküste Frankreichs, wo es nicht einen einzigen Baum gab, und doch war alles zum besten bestellt. Die Frauen trugen mit Würde und Stolz einfache schwarze Kleider, bei den älteren reichten sie über die Knöchel. Nirgendwo gab es Unrat oder halbherzig Zusammengeflicktes. Alles, die Häuser, die Gerätschaften, die Menschen, die Tiere lebten im Einklang mit sich, der Erde, dem Wasser, dem weiten Horizont.

Dieses Bild möchte ich auf Burano übertragen, allerdings hat es ein paar Bäume und Sträucher, und die Frauen schmücken sich mit Farben. Das Klare und Unverfälschte könnte auch ihre Sache sein, gäb es nicht diesen alles korrumpierenden Tourismus. Wir haben uns Burano im Winter angeschaut, bei Regenwetter (wohlwissend, daß auch wir Touristen waren), aber im Sommer muß es unerträglich sein. Wo soll denn diese kleine Spielzeuginsel mit all den vielen Touristen hin, wenn sie nichtmal Platz für ihre nassen Schuhe hat.

Ein Freund sagte mir einmal, er sei überzeugt, die Menschen auf Inseln (wenn sie nicht zu groß sind) und in den Bergen seien von ganz besondrer Art. Für beide träfe es zu: die Natur erziehe sie. Schlamperei und Großspurigkeit könne nicht so gedeihen wie anderswo, denn die Schönheit und Unbedingtheit der Umgebung fördere ein Gespür für die eigne Schönheit und das eigne Maß.

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