Böhmermann

Von Boris Reitschuster

Zeige auf einen Hirsch und nenne ihn ein Pferd“ Witz der Woche: Wiederholungs-Preisträger Böhmermann erneut ausgezeichnet.

Vor kurzem habe ich mit einem meiner besten Freunde, der aus Osteuropa stammt und bestens in Berlin vernetzt ist, über den Journalisten-Kollegen gesprochen, der mit angeklebtem Bart und falschem Namen neben seiner Arbeit als Korrespondent des Handelsblatts noch eine Funktionskarriere als Vize-Chef der SPD in Berlin-Pankow hinlegte. Quasi im Doppelleben (siehe hier). Auch in der Bundespressekonferenz störte sich niemand daran, dass er von seinem Aufgabenprofil her dort gar nicht hätte Mitglied sein dürfen. Solange man nicht mit unangenehmen Fragen auffällt wie ich, ist bei der Regierungs-Bauchpinsel-Veranstaltung alles okay (siehe hier)

 Da ich den Kollegen, Mathias Brüggmann, aus gemeinsamen Moskauer Zeiten recht gut kenne, sagte ich meinem osteuropäischen Freund,  er tue mir trotz allem irgendwie leid, weil ja nun seine berufliche Existenz vernichtet sei. Mein Freund musste laut lachen. In seinem unnachahmlichen Akzent, den ich liebe, sagte er mir: „Boris, Du warst so lange im Osten, und manchmal bist Du immer noch so westlich naiv, als hättest Du nie den Sozialismus erlebt.“

Sodann folgte seine Aufklärung: „Die berufliche Existenz von Deinem Kollegen wäre vernichtet, wenn wir noch moralische Maßstäbe hätten in Deutschland. Aber seit Angela Merkel ist Unmoral der Maßstab. Der Mann hat sich mit seiner völligen Anti-Moral und Skrupellosigkeit verdient gemacht für das neue System. Nach einer kurzen Frist wird er einen schönen Versorgungsposten bekommen.“ Leider, leider, hat mein Freund offenbar recht. Simon Vaut, der „Felix Krull“ der Brandenburger SPD, musste zwar seine Kandidatur fürs Europa-Parlament zurückziehen, als aufflog, dass er ein Doppelleben führte und Wohnsitz und Beziehung nur vorspielte (siehe hier). Doch viele Genossen rechtfertigten ihn und bezeichneten Kritik als „rechte Hetze“. Und er fiel nach oben: Er arbeitet heute als Oberregierungsrat im Bundeswirtschaftsministerium.

An die „Anti-Moral“, von der mein Freund spricht, musste ich auch denken, als ich jetzt las,  ausgerechnet Jan Böhmermann erhält den Grimme-Preis – und zwar zum wiederholten mal. Der TV-Killer, der als Fachmann für Hass und Hetze unter dem Deckmantel der Satire Regierungskritiker regelrecht „zersetzt“, ganz wie es die Stasi einst lehrte. Das ist eine völlige Verhöhnung der Ideale des Preises, der bei vielen immer noch als der wichtigste der Branche zählt.

Auf der Webseite des Grimme-Instituts steht: „Mit einem Grimme-Preis werden Fernsehsendungen und -leistungen ausgezeichnet, die für die Programmpraxis vorbildlich und modellhaft sind. Leitziel der im Grimme-Preis institutionalisierten Fernsehkritik ist eine umfassende Auseinandersetzung mit dem Fernsehen, das als zentrales und bedeutsames Medium mit vielfachen gesellschaftlichen Bezügen und Wirkungen verstanden wird.“

Weiter schreibt das Grimme-Institut – halten Sie sich bitte fest, damit es Sie nicht aus den Socken haut: Der Preis „würdigt diese Produktionen und Fernsehleistungen, die die spezifischen Möglichkeiten des Mediums Fernsehen auf hervorragende Weise nutzen und nach Inhalt und Methode Vorbild für die Fernsehpraxis sein können.”

„Die Jury des Grimme-Preises feiert seine Show ‘ZDF Magazin‘ als ‚Gesamtkunstwerk‘“, schreibt die „Welt„. Das ist fast so, als hätte man früher den DDR-Hetzer Karl-Eduard von Schnitzler dereinst mit einem nennenswerten Preis bedacht. Besonders pikant: Gesellschafter des Grimme-Instituts sind unter anderem der WDR und das ZDF. Also Böhmermanns Brötchengeber. Damit zeichnet sich das ZDF selbst aus.

In der Begründung steht unter anderem: „In einer Welt, in der Politiker:innen wie Clowns agieren, haben echte Clowns keine andere Wahl als selbst politisch zu werden. Genau das tut der politisch gewordene Clown Jan Böhmermann.“ Dass Böhmermann etwa Frauen als „Scheissehaufen“ bezeichnete und Kinder mit Ratten in der Pestzeit verglich, wird nicht erwähnt – um nur zwei seiner unzähligen Entgleisungen aufzuführen.

Die einst konservative, aber von rotgrünen Journalisten feindlich übernommene „Welt“ feiert die Preisverleihung: „Die Tatsache, dass Böhmermann sich in seiner Show als Grenzgänger zwischen Politik und Unterhaltung, Information und Satire bewegt, dass diese Vermischung letztlich seine Arbeitsgrundlage ist, lässt sich – sorry, Böhmermann-Hater – positiv bewerten. Grenzgängertum erfordert immer Mut, und Mut ist in der deutschen Fernsehlandschaft dringend nötig.“

Als Zoll an den kritischen Verlag, in dem die „Welt“ erscheint, gibt es aber auch sanfte Kritik: Eine kritische Auseinandersetzung mit der Show „hat – zumindest den offiziellen Begründungen zufolge – in der Jury des Grimme-Preises nicht stattgefunden“. Es fehle „schmerzlich, und sei es nur mit einem Halbsatz, eine Problematisierung des neuen (und aus den USA übernommenen) Genres der unterhaltend präsentierten Recherche.”

Ich musste bei der Nachricht von Böhmermanns erneutem Grimme-Preis intuitiv an ein Zitat der russischen Schriftstellerin Julia Latynina denken: „Im alten China wollte 207 v. Chr. der nach der Macht greifende Eunuch Zhao Gao prüfen, wer am Hof bedingungslos zu ihm hielte und für einen Staatsstreich zu gebrauchen wäre. Er führte dem Hofstaat einen Hirsch vor – und pries ihn als besonders edles Pferd an. Weder die Beamten noch der Kaiser selbst wagten zu widersprechen; beklommen sprachen alle von dem »Pferd«.“ Die Geschichte ging sogar als Redewendung in die chinesische Sprache ein: „Zeige auf einen Hirsch und nenne ihn ein Pferd.“

Angesichts der langen Liste von Auszeichnungen für Jan Böhmermann musste ich auch an Leonid Breschnew denken. Der greise Chef der Kommunistischen Partei der Sowjetunion war so wild auf Orden und Auszeichnungen, er kam wie eine wandelnde Litfaßsäule daher. Mit dem ganzen Blech auf der Brust war er eine tragikomische und vor allem klirrende Erscheinung. Und wurde zum Gespött der Sowjetbürger. Je weiter sich ein System von der Realität entfernt und seine Funktionäre von den Menschen, umso wilder sind diese Funktionäre offenbar nach Auszeichnungen. Wenn es nach mir geht, kann Böhmermann deshalb gerne noch eine bekommen – den Ehrennamen Jan „Leonid“ Böhmermann.

Dabei geht die Tragweite des Falles weit über Böhmermann hinaus. Die Preisverleihung an ihn ist ein Symbol für den Post-Moralismus in unserem polit-medialen Komplex. Je lauter und gebetsmühlenartiger man nach außen hin seine angebliche Moral beteuert, umso tiefer scheint die Anti-Moral zu greifen. Insofern hat Böhmermann den Preis auf seine – pervertierte – Art sogar verdient.

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