Müde steht er vor dem Spiegel. Die Lippen fest zusammengepresst. Die Schultern hängend. Haltung annehmen. Ja, auf die Haltung kommt es an. Auf die innere natürlich, doch sollte es auch nicht an der äußeren mangeln. Stärke drückt sie aus, die geschwellte Brust und der harte Gesichtsausdruck. Er dreht sich ein wenig vor dem Spiegel, zieht geräuschvoll den Bauch ein und betrachtet sein Profil. Er atmet tief in die Brust, bedacht darauf, die Bauchmuskeln angespannt zu halten. Hände an die Hosennaht, Augen geradeaus!, erinnert er sich. Seine Gedanken bellen wie die Stimme eines Offiziers. Wie schnell das Vergangene an die Oberfläche dringt, wundert er sich. Als wären es nicht Jahre, die ihn davon trennen. Während er die Lider schließt, mischen sich Geräusche dazu: Stimmen, die roh Befehle grölen, dumpfes Grollen, ferne Schreie. Schnell öffnet er die Augen und sucht seinen Blick im Spiegelbild. Nur ganz kurz scheint es ihm, als hätte er ein Flehen gesehen. Er wischt den Eindruck fort.
Zeichnung: Rolf Hannes
Haltung: angesichts des Tods ist sie nichts als reine Farce. Mit müden Augen schaut ihn sein Spiegelbild an. Ehre und Ruhm, Tapferkeit und Mut: Begriffe, so leer wie Patronenhülsen, für die sie ihr Leben einsetzen und für ewig verstümmelt werden an Körper und Seele. Er lässt die Schultern sinken.
Der hier veröffentlichte Text ist ein Auszug aus der Erzählung “Bittere Erkenntnis” von Frances Dahlenburg; nachzulesen in der Anthologie “Gewaltige Metamorphose”, Friederike K. Moorin und Christian Knieps (Herausgeber).