Beobachtung an einem Geburtstagabend


Zeichnung: Rolf Hannes

Marie Joly, die kleine kesse 10jährige Tochter von Klaus H. setzte sich mir gegenüber, und um eine muntre Plauderei waren wir beide nicht verlegen. M.J. ist ein kleines Biest, raffiniert in der Zuteilung ihrer Gunst, streckenweise kann sie einen geflissentlich übersehn, an einem vorbeistreichen, mit einer tänzerischen Geste: ach so, du bist mir grade nicht wichtig genug. Diese schnippische, hochnäsige Art hat sie von ihrer Mutter, von ihrem Vater kann sies nicht haben, der ist ein gutmütiger höflicher Bär.

Sie ist ein As im Reiten, das versteht sich von selbst. Seit Jahren kennt sie sich mit Pferden aus, nicht nur mit Ponies, mit ausgewachsnen Reit- und Springpferden. Ballett ist eine Selbstverständlichkeit, hier setzt sie wieder diese flatternde Handbewegung an das wohl-geneigte Publikum. Sie liest weltmeisterlich viel und gut, und als ich sie frage, was ihr Lieblingsfach ist und erwarte, sie sage Deutsch, da schürzt sie ihre Lippen genießerisch und sagt: Mathe.

Sie ist nicht nur sehr gescheit und mit allen Wassern gewaschen, sie ist obendrein sehr hübsch, auch das hat sie von ihrer Mutter, ich muß es gestehn.

Sie sitzt also vor mir und entfaltet ihre ganze weibliche Kunst der Verführung. Sie erzählt wirklich wunderschön, man muß ihr zuhören, sie wird die Technik, wenn nicht genetisch mitbekommen, dann aus Büchern gelernt haben. Solch glasklare intelligente Konversation liebt ein alter Narr wie ich.

Dann aber geschieht etwas, das meine grenzenlose Bewunderung von dieser kleinen Ballettratte abzieht, zumindest schmälert. Ein etwa gleichaltriger hübscher Junge setzt sich neben sie. Er hat sehr artige Manieren, darin kann er mithalten, aber bald wird klar: er reitet nicht, er macht kein Ballett, er liest spärlich und Mathe ist gar nicht sein Fall.
M. J. schaut ihn verächtlich an, nicht nachdrücklich verächtlich, nur so schnell von der Seite, und obwohl sie das alles von ihm weiß, entsetzt es sie von neuem, nicht wirklich entsetzt es sie, dafür ist sie nicht ehrlich genug, sie macht nur diesen kleinen überheblichen Blick wie nebenbei.

Dann kommt die Wende. Der Bub erzählt von seinen Liebhabereien. Er erzählt das sehr einfach, ohne Gedruckse oder Auftrumpfen. Er entfaltet dabei soviel ungekünstelten Charme, ich schaue ihn an und finde ihn plötzlich auf Kosten seiner Nachbarin viel liebenswerter und hübscher als sie. Die schaut er schüchtern an, ob sie denn ein wenig einverstanden sei mit ihm, eine ganz kleine unschuldige Buhlerei liegt in seinem Blick.

Aber sie ist ungnädig, sie schaut gar nicht, staatdessen nimmt sie die Sprudelflasche, aus der sich der Junge vorhin einen Schluck ausgeschenkt hatte, und die beim Zurücksetzen vor J. M. zu stehen kam, nimmt die Flasche und setzt sie mit Nachdruck wieder vor den Buben: so, da hast du sie, das wärs.

Bei mir hat J. M. ihren Zauber erheblich eingebüßt, jetzt steht es zwei zu eins für ihren Nachbarn.

Er erzählt, er spiele Fußball, nachdem das mit Karate nichts geworden ist, im PSV, dem Polizei Sport Verein. Im FC Freiburg, das ginge ja noch, kann ich in Maries Gesicht lesen, aber POLIZEI, nein sowas. Jetzt steht es schon drei zu eins für den Fußballer. Ich sage zu ihm: Egal was du machst, Hauptsache, du ziehst eine Sache durch, ganz egal was, aber die mit ganzer Hingabe. Wenn er das auch bislang nicht begriffen hatte, jetzt weiß er es, er nickt wie einer, der sagen will, das ist klar, dabei bleibe ich. Hängendes Mittelfeld, sagt er, da fühl ich mich am wohlsten. HÄNGENDES MITTELFELD, da kann Marie nur mitleidig gucken, hängendes Mittelfeld, das glaub ich wohl. Jetzt steht es schon vier zu eins.

Nur, eins ist auch gewiß, die Gaben Marie Jolys sind so fein gestrickt, für die nächsten 70 Jahre, wenn nichts wirklich Unvorhergesehnes dazwischenkommt, hat sie die Welt in der Tasche. Mein kleiner Fußballer wird es schwerer haben.

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