Deutsche Atom-Schizophrenie ist jetzt regierungsamtlich. Pervers: Atomausstieg nur dank Import von Strom aus Atom-Ländern möglich.
Von Boris Reitschster
Seit langem schreibe ich mir die Finger wund über die Atom-Schizophrenie der deutschen Regierungen. Einerseits beschließen sie hierzulande den Ausstieg – andererseits tun sie so, als bemerkten sie nicht, dass etwa Russland mehr Atomkraftwerke baute, um mehr von dem – damals noch gelieferten – Gas nach Deutschland schicken zu können. Und dass die Ausfälle durch den Ausstieg auch durch Atomstrom aus Frankreich und Belgien kompensiert werden – die dafür ebenfalls neue Meiler bauten. Allein Frankreich plant sechs neue Atomkraftwerke. Auch um die steigende Nachfrage aus dem „Energiewende-Taka-Tuka-Land“ Deutschland zu decken.
Ebenso bemerkenswert wie dieser Schildbürgerstreich der Regierung war es, dass die großen Medien sie mit diesen durchkommen ließen. Und dass die Gesellschaft es schluckte. Aber ich habe inzwischen ohnehin den Eindruck, dass der Corona-Masochismus der Mehrheit in Deutschland kein Zufall war und dass ein großer Teil der Deutschen geradezu Freude hat daran, sich an der Nase herumführen zu lassen, solange das nur die Obrigkeit tut (Gott sei Dank ticken nicht alle Menschen hierzulande so, sonst gäbe es meine Seite nicht).
Doch jetzt wird auf einmal offiziell thematisiert, was bisher tunlichst verdrängt wurde von Leuten wie Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne), der Leser kritischer Blogs wie meinen für Irre erklärte, die nicht mit Gabel und Messer essen, und die sagen, sie würden immer nur die Fakten sehen, während böse Kritiker wie ich es umgekehrt halten (siehe mein Video dazu hier).
„Der Strom in Deutschland reicht aus – wenn wir Kernkraft aus Frankreich importieren!“, titelt auf einmal die „Bild“ – so als sei diese Einsicht nicht fast schon uralt. Und siehe da, was das Blatt weiter schreibt: „Das ist das Ergebnis der jüngsten Analyse der Bundesnetzagentur. Danach kommt Deutschland auch gut durch den nächsten Winter, wenn die AKW-Meiler in unserem Nachbarland laufen.“
Kaum sind ein paar Jahre vergangen, schon erkennt die „BILD“ die von einem Grünen geleitete Realität. Spät, ja sehr spät, aber immerhin. Und auf einmal muss auch die „Ampel“ abrücken von ihrer Vogel-Strauß-Politik (ich weiß, das tut dem armen Vogel Unrecht, aber der Begriff hat sich nun einmal eingebürgert). Nein, Sie haben sich nicht verlesen: Genau die Regierung, die die letzten drei deutschen Meiler gerade eben endgültig abschalten ließ, bestätigt nun kleinlaut die Situation und sagt im typischen Beamten-Deutsch: „In der ‘Bedarfsanalyse‘ der Netzagentur ‘wurde der gesetzliche Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie in Deutschland und eine begrenzte Verfügbarkeit der Leistung der Kernkraftwerke in Frankreich unterstellt‘.“
Jens Spahn (CDU), der sich vom Corona-Saulus zum Paulus wandeln möchte, sprach dazu gegenüber der „Bild“ auf einmal Klartext – fast so, als sei die CDU wenigstens in Teilbereichen aufgewacht und wolle auf einmal Opposition machen statt Bettvorleger von Rot-Grün-Gelb: „Die Ampel redet das Stromproblem seit Krisenbeginn klein. Ohne Kernkraft aus Frankreich wären wir aufgeschmissen. Die Ampel ist die Koalition der Atom-Doppelmoral.“
Die Fakten belegen, dass die Energiewende eine Chimäre ist: „Deutschlands Stromimporte steigen. Von Januar bis März kaufte Deutschland 12,1 Millionen Megawattstunden (MWh) Strom im Ausland ein, plus 15,2 Prozent zum Vorjahr. Im Gegenzug verkaufte Deutschland 21,3 Millionen MWh ins Ausland, minus 9,8 Prozent“, wie die „Bild“ konstatiert: „Und seit April importieren wir mehr Strom, als wir exportieren. Die meiste Energie aus Frankreich und Dänemark.“
Selbst innerhalb der Ampel gibt es denn auch Absetzbewegungen. Die FDP übt sich mal wieder wunderbar in ihrer Lieblingsdisziplin – so zu tun, als hätte sie mit den Regierungsbeschlüssen, die sie selbst mitgetragen hat, nichts zu tun. Atomausstieg? War da was? Wer konnte das ahnen! FDP-Energieexperte Michael Kruse sagte zur „Bild“ wie die Jungfrau, die nicht weiß, woher ihr Kind kommt: „Die Energiewende der Grünen basiert maßgeblich auf Atomstrom aus Frankreich. Kritisch, denn er steht den Deutschen und den Unternehmen hier nicht so günstig zur Verfügung, wie der Strom aus den gerade abgeschalteten deutschen Kernkraftwerken. Verstehen muss das keiner.“
Und vor allem ist nicht zu verstehen, warum die FDP das mitgemacht hat. Und sich jetzt wundert.
Die Sache belegt, wie sehr CSU-Legende Franz Josef Strauß Recht hatte mit seiner Warnung von 1986, dass eine rot-grüne Regierung Deutschland in ein „bunt geschmücktes Narrenschiff Utopia“ verwandeln werde, in dem „ein Grüner und zwei Rote die Rolle des Faschingskommandanten übernehmen“ werden (siehe mein Video dazu hier). Eine solche Entwicklung, so Strauß 1984, würde die Arbeit der vergangenen vier Jahrzehnte vernichten, das Schicksal der Lebenden ungewiss machen und „die Zukunft kommender Generationen würde auf dem Spiel stehen“.
Dabei brauchte Strauß dafür keine prophetische Fähigkeiten. Nur eine gute Beobachtungsgabe und einen klaren Verstand. Beide scheint heute sehr vielen zu fehlen.