Ein Gastbeitrag von Gregor Amelung
Am Dienstag schrieb der Nachrichtensender ntv in einer Fotostrecke unter einem Foto von Donald Trump im Gerichtssaal von New York: „Es ist ein historischer Moment in den USA. Zum ersten Mal ist ein ehemaliger Präsident wegen krimineller Vergehen angeklagt worden. Über seinen Anwalt [Michael Cohen] hatte er 2016 eine Schweigegeldzahlung an den Pornostar Stormy Daniels geleistet. Das könnte eine illegale Wahlkampfspende gewesen sein. […] Noch drei weitere Anklagen drohen Trump wegen krimineller Vergehen. Es geht um den Kapitolsturm im Januar 2021, Aufforderung zum Wahlbetrug in Georgia und die Mitnahme geheimer Dokumente aus dem Weißen Haus“ – macht summa summarum vier „Anklagen“.
Da stellen sich eigentlich automatisch zwei Fragen: Wieso gilt bei Donald Trump nicht wie sonst die Unschuldsvermutung, die man üblicherweise mit dem Adjektiv „mutmaßlich“ zum Ausdruck bringt nach dem ehernen Grundsatz, ein Angeklagter – und das ist Donald Trump ja seit Dienstag offiziell – habe bis zu seiner Verurteilung als unschuldig zu gelten? Und Frage Nummer 2: Was ist dran an den Vorwürfen gegen den Ex-Präsidenten?
Frage Nummer 1 ist leicht zu beantworten: das „mutmaßlich“ entfällt, weil es um Trump geht. Obwohl simpel und beschränkt und damit eigentlich nicht der nötigen Verschlagenheit fähig, gilt er in den großen Medien diesseits und jenseits des Atlantiks als eine Art Teufel – oder wie es Bild, Stern, Die Zeit, Deutschlandfunk, Der Kurier, Süddeutsche usw. seit 2016 auszudrücken pflegen: als ein „Wüterich“.
Frage Nummer 2 ist schon etwas komplizierter und die großen Medien gehen ihr tunlichst aus dem Weg, denn ihre Beantwortung würde die schmucken Headlines – „Trump vor Gericht: 34 Vorwürfe“ (Berliner Morgenpost), „Trump zur Anklage-Verlesung in New York – 36.000 Polizisten in Alarmzustand“ (Bild) – konterkarieren. Auch die Produktion der ntv-Sondersendung „News Spezial: Anklage gegen Trump“ hätte man sich wohl sparen können, hätte man sich die Anklagepunkte mal genauer angesehen. Tat man aber nicht. Dabei hätte ein Interview mit dem Rechtsgelehrten Alan Dershowitz ausgereicht um zu erfassen, dass Trumps vier „kriminelle Vergehen“ recht weit davon entfernt sind, erwiesen zu sein.
Und Dershowitz, 83 Jahre, ist nicht irgendein TV-Rechtsexperte von der Stange. Er ist Rechtsprofessor an der Elite-Universität Harvard und seit Jahrzehnten in den USA hochangesehen. Bis – naja, bis er im Januar 2020 Trumps Verteidigerteam bei dessen erstem Impeachment-Verfahren ergänzte. Seitdem fremdeln die links-liberalen US-Medien mit dem streitbaren Juden aus Brooklyn, der sich selbst öffentlich als langjähriger Wähler der Demokraten zu erkennen gibt.
Bevor nun die „Auflösung“ zur Belastbarkeit der vier Anklagen gegen Trump kommt, muss man zur Verteidigung der deutschen Qualitätsmedien vielleicht noch erwähnen, dass sich Dershowitz in der Sache ausführlich gegenüber dem „War Room“ geäußert hatte (04.04.2023). Ein Podcast des ehemaligen Präsidentenberaters Steve Bannon, der in Deutschland als „ultrarechter Propagandist“ (RND) und „rechtsextrem“ (Deutschlandfunk) gilt und insofern von hiesigen Journalisten gemieden wird. Genauso wie der Sender Fox News, in dem sich Dershowitz in ganz ähnlicher Weise geäußert hatte (02.04.2023). Fox ist nach Analyse der taz „rechtsaußen“.
„Noch weiter rechts“ steht laut der Frankfurter Rundschau und watson.ch der Sender Newsmax, wo der Verfassungsrechtler zum aktuellen Fall in New York erklärt hatte (31.03.2023): „Das ist der dünnste und am weitesten gedehnte Fall, den ich je gesehen habe. […] Es wäre die erste Anklage eines ehemaligen Präsidenten und die erste Anklage eines Kandidaten für das Präsidentenamt, der gegen einen amtierenden Demokraten [Präsident Joe Biden] antritt“ und der nun von einem New Yorker Staatsanwalt, Alvin Bragg, „der ebenfalls Demokrat ist, angeklagt wird“. Und das mit einem „derart dünnen Fall, das nenne ich eine Bananenrepublik“, so der Jura-Professor.
Und „es wird noch viel schlimmer“, erklärte Dershowitz im War Room, „weil die Leute verzweifelte Schritte unternehmen werden, [Trump] daran zu hindern, [erneut] für das Präsidentenamt zu kandidieren. Sie werden die Verfassung dehnen und die Gesetze.“ Der aktuelle „Angriff auf Trump“ in New York sei „einer der schlimmsten Missbräuche des Justizwesens, den ich je erlebt habe. Und ich mache das seit 60 Jahren, [trotzdem] habe ich nie zuvor größeren Missbrauch bei der Ausschöpfung des Ermessensspielraums einer Staatsanwaltschaft gesehen als nun durch Staatsanwalt [Alvin] Bragg, der Verbrechen schlichtweg erfindet.“
Aktuell – Dershowitz sprach noch vor der offiziellen Anklageerhebung – „wissen wir zwar noch nicht, wie das Ergebnis aussehen wird. Vielleicht werden einige Geschworene revoltieren. Das wäre ein Präzedenzfall, wenn ein paar Geschworene sagen würden: ‚Nein, hier machen wir nicht mit. Wir kennen zwar alle die Redensart, ein Staatsanwalt kann ein Geschworenengericht auch davon überzeugen, ein Schinkensandwich anzuklagen, [aber] wir sind nicht diese Geschworenen! Wir werden Donald Trump nicht anklagen, nur weil Sie verhindern wollen, dass er Präsident der Vereinigten Staaten wird.’“ Und „ich hoffe […] es gibt einige Leute in Braggs Büro, die kündigen und sagen: ‚Nein, Sie können [Trumps ehemaligen Anwalt Michael] Cohen nicht in den Zeugenstand rufen. Sie wissen, er lügt, und Staatsanwälte dürfen keine Zeugen vorladen, von denen sie wissen, sie lügen Geschworene an.’“ Cohen habe „den US-Kongress belogen, er hat seine eigenen Anwälte belogen, er hat andere Geschworenengerichte belogen. Wieder und wieder.“
Hinzu kommt, die US-Bundesbehörde FEC (Federal Election Commission) habe die Zahlung an den Pornostar Stormy Daniels, was den US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 anbetrifft, bereits überprüft und nicht beanstandet.
Der ‘Wahlbetrug im US-Bundesstaat Georgia’ (ntv):
Hier habe Trump ein Telefonat geführt, das mitgeschnitten wurde und „in dem er sagte: ‚Ich muss 13.000 Stimmen finden’ – to find, F – I – N – D. Schauen Sie im Wörterbuch nach. Es bedeutet, etwas soll gefunden werden. Es geht nicht darum, etwas zu ER-finden oder etwas zu fabrizieren.“ Eben das sei „kein Verbrechen“ sondern eine „Aussage“ an den in Georgia für die Durchführung der Wahl verantwortlichen Innenminister [Brad Raffensperger] gewesen, die sinngemäß gelautet habe: „Ich möchte, dass Sie genau nachschauen, ob es noch ungezählte Stimmen gibt.“ Darauf könne man unmöglich eine strafrechtliche Anklage aufbauen, so Dershowitz.
Genauso wenig wie auf Donald Trumps Rede am 6. Januar 2021 vor dem „Kapitolsturm“ (ntv), „in der der Präsident sagte, ich möchte, dass Sie ‚friedlich und patriotisch demonstrieren’, und der Untersuchungsausschuss des US-Kongresses hat die Aufzeichnung [der Rede einfach] gedoktert und die Worte rausgenommen – die Worte ‚friedlich und patriotisch’. Wenn ein Jurist dasselbe mit einem Gerichtsdokument tut, wird er entlassen. Und ja, ich bin sauer!“, so Dershowitz. „Ich bin kein Trump-Anhänger, sondern ein Anhänger der Verfassung. Und ich möchte nicht, dass diese Bemühungen, Trump dranzukriegen, Erfolg haben und unsere Verfassung beschädigen.“
Das ist zunächst einmal insofern irreführend, als dass Donald Trump und sein sogenanntes „Privatanwesen“ (ntv) in Mar-a-Lago in Florida vom Secret Service bewacht werden. Eben das trifft auf die Geheimdokumente nicht zu, die man bei Joe Biden im Dezember 2022 gefunden hatte, denn er wurde als ehemaliger Vize-Präsident lange Zeit nicht mehr vom Secret Service bewacht. Genauso wenig wie sein „Privatanwesen“ in Wilmington im US-Bundesstaat Delaware, wo man einen „Satz geheimer Dokumente“ in seiner Garage fand.
Von der Presse darauf angesprochen hatte der amtierende Präsident recht pampig erklärt: „Meine Corvette steht in einer abgeschlossenen Garage, okay? Es ist also nicht so, dass [das Material] auf der Straße gelegen hat.“ Darüber hinaus gibt es dann noch das Problem, dass nach Auffassung nicht weniger Juristen der US-Präsident als einziger die Macht besitzt, den Geheimnisstatus eines Dokuments aufzuheben. Ein Vizepräsident hat diese Machtbefugnis nicht.
Zu der Aufsehen erregenden FBI-Durchsuchung von Trumps „Privatanwesen“ im vergangen Sommer hatte Alan Derschowitz bereits Ende August gegenüber der „rechtsgerichteten Boulevardzeitung“ (Der Spiegel, T-Online) New York Post gesagt: „Einen [solchen] Durchsuchungsbefehl zu bekommen, ist einfach.“ Derzeit gebe es auch genügend Beweise, um den ehemaligen US-Präsidenten anzuklagen. „Jedes Geschworenengericht in Washington D.C., das wie New York City eine Hochburg der Demokraten ist, könnte mit den vorhandenen Beweisen Anklage in dem Sinne erheben und Trump vorwerfen, er habe mit dem Besitz des Geheimmaterials gegen verschiedene Gesetze verstoßen.“
Allerdings warnte Dershowitz das zuständige US-Justizministerium davor, den Fall tatsächlich weiterzuverfolgen. Denn die Untersuchung bestehe weder den sogenannten „Nixon-” noch den „Clinton-Test“.
Der Nixon-Test bezieht sich auf die parteiübergreifende Unterstützung gegen den US-Präsidenten Richard Nixon nach dem Watergate-Skandal 1974; die ist gegen Trump nicht vorhanden.
Der „Clinton-Test“ wiederum würde erfordern, den Beweis zu erbringen, Trumps Umgang mit Geheimmaterial sei gravierender als der von Hillary Clinton. Gegen die bei einem ähnlich gelagerten Fall keine Anklage erhoben wurde. Damit schuf man 2016 einen Präzedenzfall bzw. einen rechtlichen Standard, der wegen des in der Verfassung verankerten Gleichbehandlungsgrundsatzes auch auf den „Wüterich“ anzuwenden ist.
Aber anstatt den ZDF-Zuschauer darüber in Kenntnis zu setzen, fragte Christian Siewert im Heute Journal am Dienstagabend seinen Interviewgast: „Fühlen Sie sich als Amerika-Historiker ein bisschen an Al Capone erinnert, dem man ja letztlich auch nur via Steuerhinterziehung beikam? Oder bleibt da ein komischer Beigeschmack, dass die Justiz Trump jetzt wegen einer im Vergleich [zu dem], was ihm sonst noch alles vorgeworfen wird, einer Lapalie verfolgt?“ – „Ja, Sie sagen es richtig“, lächelte Prof. Volker Depkat, Historiker an der Universität Regensburg: „Es sind eher geringfügige Vergehen, die ihm jetzt hier [in New York] vorgeworfen werden. Es laufen ja gleichzeitig Ermittlungen gegen ihn im Staate Georgia wegen direkter Wahlfälschung.“ Und so weiter.
Nun hat selbstverständlich ein jeder, auch jeder Journalist oder Uni-Professor, das Recht auf seine eigene Meinung zu Donald Trump, aber nicht auf seine eigenen Fakten – schon gar nicht auf so monströs herbeigeredete „alternative Fakten“ wie im Heute Journal.