Altpapier

Als die Hauswartsfrau die Wohnung betrat, waren die Möbel schon fortgeschafft. Der Maler war gerade dabei, das letzte Zimmer zu streichen. An der Flurgarderobe hing noch eine alte zerschlissene Regenjacke. In der Küche stand eine Kiste mit leeren Bierflaschen. Es befand sich nichts Persönliches mehr in den vier Räumen, die der Mann bewohnt hatte. Seine Schwester war eine Woche, nachdem ihn die Putzfrau, die zweimal im Monat kam, gefunden hatte, plötzlich aufgetaucht. Da war er gerade mal zehn Stunden tot, hatte der protokollierende Polizist gesagt. Die Schwester hatte sich ausgewiesen und den Schlüssel geholt. Danach hatte sie die Hauswartsfrau nicht mehr gesehen. Irgendwann müssen die die ganzen Sachen abgeholt haben. Viel kann es nicht gewesen sein, man hatte kaum etwas gehört. An einem Tag stand für zwei Stunden ein Lieferwagen vor der Tür.

Der Mann war 45, als er gestorben ist. Die Todesursache wurde nicht bekannt. Genauso wenig wusste man über sein Leben. Er hatte keinen Kontakt zu den Mitbewohnern und ganz selten kam Besuch. Aus der Wohnung war nie ein Laut zu hören, er war eigentlich gar nicht richtig da. Das einzige, was man über ihn wusste, war, dass er Schriftsteller oder Zeitungsschreiber war. Es ist schon seltsam, dachte die Hauswartsfrau, wie man so anonym nebeneinander lebt, hier in der Großstadt. Mit einem lauten Knall klappte die Malerleiter zusammen. Der Maler war fertig und bemerkte die Hauswartsfrau. Ach, sagte er fröhlich, Sie kommen, um nachzuprüfen, ob ich meinen Job gut gemacht habe? Nein, sagte die Hauswartsfrau, ich wollte nur sehen, ob alles in Ordnung ist, weil die Tür offen stand. Der Maler räumte seine Utensilien in eine Ecke. Das war’s hier von uns, wir holen die Sachen nachher auf dem Rückweg ab, und er zeigte auf sein Werkzeug und die Leiter. Jaja, antwortete die Hauswartsfrau, ist schon in Ordnung, von der Hausverwaltung kommt am Nachmittag jemand. Na dann, der Maler tippte sich an die Stirn, grinste, zündete sich eine Zigarette an und ging.

Tschüss, murmelte die Hauswartsfrau und schaute in das frisch gestrichene Zimmer. Der Nächste kann kommen, dachte sie, und hoffentlich wird er älter. Ganz automatisch war sie in das letzte Zimmer am Ende des Flurs gegangen. Am Fenster standen noch vier Umzugskisten. Mit schwarzem Filzstift war auf die Außenwände in Druckbuchstaben ALTPAPIER geschrieben. Neugierig öffnete sie die erste Kiste und sah drei Stapel maschinenbeschriebenes Papier. Sie nahm die ersten zehn Seiten vom ersten Stapel. Es war offensichtlich ein Romanmanuskript. Sie griff eine Handvoll Seiten vom zweiten Stapel und blätterte sie durch. Wahrscheinlich eine Kurzgeschichte, denn auf Seite 9 las sie das Wort Ende. Sie öffnete die zweite Kiste. Wieder drei Stapel Manuskriptseiten. Gedichte, Notizen, ein paar Zeichnungen, Entwürfe und noch ein Roman, wie sie vermutete. Auch die dritte und vierte Kiste enthielten Manuskripte.

Jörg Reinhardt - Altpapier

Zeichnung: Rolf Hannes

Altpapier, flüsterte sie vor sich hin. Ein ganzes Leben in vier Kisten. Alles für die Tonne. Sie spürte, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten, von denen sie nicht wusste, wo sie herkamen. Sie war irritiert, überhaupt Tränen zu haben für jemanden, den sie gar nicht kannte. Aber vielleicht dachte sie auch daran, was von ihrem Leben einmal übrig bleiben würde. Sie wischte sich energisch mit dem Handrücken über das Gesicht und schniefte geräuschvoll. Das ist unwürdig, sagte sie laut und stellte ihren Besen ans Fensterbrett. Sie wiederholte das Wort unwürdig. Sie versuchte, die erste Kiste anzuheben, doch merkte sie bald, dass sie sie alleine nicht bis in ihre Parterrewohnung schleppen könnte. Entschlossen ging sie zur Wohnungstür und rief ihren Mann, der im ersten Stock beschäftigt war: Erwin, komm mal rauf hier, anpacken!

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3 Antworten zu Altpapier

  1. Lena sagt:

    Lieber Rolf Hannes und liebe andere Leser,

    ich habe mal eine allgemeine Frage zur Darstellung der futura99phoenix-Webseite.

    Vor ein paar Wochen dachte ich, der Phönix ist schon wieder in Flammen aufgegangen, denn ich konnte die Seite zwar noch aufrufen, die Titelleiste und die Überschriften der Beiträge waren auch noch zu sehen, aber unter Überschrift, Autor, Datum blieben die Seiten leer. Anhand der Überschriften konnte ich sehen, dass es nach wie vor neue Texte gibt, aber die Texte selbst sind für mich verborgen geblieben.
    Irgendwann hat meine Neugier auf die neu veröffentlichten Texte mich dann dazu gebracht, meinen üblicherweise verwendeten Browser (Firefox) zu verlassen und im Internet Explorer nach den Texten zu suchen. Und siehe da – im IE stehen die Texte wie gewohnt an ihrem Platz.

    Jetzt weiß ich zwar, wo ich die Texte finde, aber ich würde futura99 gerne auch wieder in Firefox lesen können. Und mich würde auch interessieren, ob nur ich dieses Problem habe oder es anderen genauso geht. (Nur dummerweise können die, die auch vergeblich im Firefox nach euren Texten suchen, diesen Kommentar nicht lesen.)
    Aber vielleicht hat ja auch schon jemand anderes den Browser gewechselt?
    Hat irgendjemand eine Idee, womit dieser Darstellungsfehler zusammenhängen könnte?

    Viele Grüße,
    Lena

  2. Rolf Hannes sagt:

    Liebe Lena,

    ich weiß genau woran es liegt. Wenn jemand die neueste Version von Firefox hat, nämlich die Version 38, kann er die Beiträge in unsrer InternetZeitung futura99phoenix.de nicht mehr sehen. Warum das so ist, konnte ich nirgendwo erfahren. Aber in den Foren, in denen sich viele mit dem gleichen Problem beschäftigen, erfuhr ich immerhin so viel: in Firefox 38 stecke ein Bug, also ein (Schädlings-)Käfer, der schuld für dieses Problem sei. Da Firefox bei vielen Internetnutzern automatisch immer die neueste Version einspeist, ergibt sich automatisch dieses Manko. Man muß also, um dem zu entkommen, wieder die ältere Version 37 einrichten und den Automatismus (auf die neue Variante) untersagen. Da ich als Redakteur unsrer Zeitung mit WordPress arbeite und WordPress mit Firefox verquickt ist, kann ich diesem Problem nur entgehen, wenn ich bei Firefox 37 verbleibe. Das ist schwierig, weil mir Firefox mit allen Tricks immer wieder seine neueste Version 38 verpassen will. Ob seine Version 39, die irgendwann mal fällig sein wird, den Schädlingskäfer ausmerzen wird, steht in den Sternen. Also wache ich darüber, bei 37 zu bleiben. Das mit Firefox ist umso unverständlicher, als alle anderen Browser (Safari, IE, Chrome usw.) futura99phoenix.de klar ins Netz stellen.

    Freundlichen Gruß
    Rolf Hannes

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