Alte Sinne

Es war so, dass ich plötzlich mein Gehör verlor. Ich dachte, besser als das Augenlicht. Und ich las und schaute, schaute und las und dazwischen schloss ich die Augen nur selten.

Es war dann so, dass meine Augen schwächer wurden. Ich las und schaute immer noch, aber es kam immer seltener so an, dass ich beeindruckt war. Was blieb? Es gab das Riechen und das Schmecken. Und das Sprechen. Nie hatte ich für mich über Gehörtes und Gesehenes gesprochen, aber jetzt tat ich es, über Erwittertes und Erschmecktes. Doch es langweilte mich bald, weil es die verderblichen Dinge waren, über die ich nie gern gesprochen hatte. Ich sprach erdachte Worte ins Blaue hinein wie sie nur die wahrnehmen können, die Erinnerungen in sich aufheben.

Angelika Janz - Alte Sinne

Grafik: Angelika Janz

Ich wusste nicht, ob man mich hörte oder die gesprochenen Dinge sah. Ich sprach Erinnertes, ob gehört oder gesehen, in die Luft meines Zimmers und in die gegenstandslose Landschaft meines Hintergrunds hinein. Es war schön zu spüren, wie die Dinge mir etwas zurückgaben sobald sie die Beschaffenheit meiner Worte erkannt hatten. Sie belohnten mich mit einer sanften Ruhe, die meinen Körper durchwanderte: Ich sang. Ein Resonanzgefäß war mein Kopf und der Ton teilte sich mir wunderbar fließend mit. Ich sang in mich hinein. Die Dinge belohnten mich mit Wiederliedern, die in mir zu neuen Gesängen wuchsen.

Was blieb noch? Es war das Berühren der Dinge, das Empfinden ihrer Kühle und Wärme, ihrer Oberflächen, ihrer Gestalt. Sie kamen mir entgegen, die Dinge, wie Tiere und belebte Stoffe. Ich begrüßte sie mit Gesang.

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