Alastair

Einer der exotischsten Menschen, denen ich begegnet bin, war zweifellos Alastair. Krischan Hirschs Freund Berling hatte einen Film gedreht mit diesem seltsamen Menschen. Er brachte Alastair an einige der Orte, wo er einmal gelebt hatte, etwa in das Schlößchen Lustheim, eines der Gebäude der Schloßanlage Schleißheim.

Alastair lag auf einem Hotelbett, in einem weiten seidenen Kleid in Weiß mit schwarzen Punkten und grauen Schraffuren darauf, eher ein Hosenanzug, bauschig und weitärmelig. Ich dachte, dieses Wesen ist nicht hergegangen, es ist geflogen und hat sich hier niedergelassen, erst herumgeflattert, sich stoßend an der Begrenzung des Zimmers, an Lampe und Vorhangstange. Nun muß es wieder zu Kräften kommen.

Aus welcher Zeit kam dieser Vogel dahergeschwirrt? A. hatte im moulin rouge jene sagenhafte Yvette Guilberrt tanzen gesehn (Toulouse-Lautrec hat sie auf seinen Plakaten lithografiert) und hatte als junger Mann vor der Jahrhundertwende auf einer londoner Bühne selbst zu tanzen begonnen, unter dem Gejohle des Publikums.

Er hatte kostbare bibliophile Bücher illustriert: E. T. A. Hoffmann, G. Meyrink, Prosper Mérimée, Edgar Allen Poe. Alastair mochte es nicht, mit Beardsley verglichen zu werden. Er sagte: Ich bin viel exzentrischer, viel schwindsüchtiger als Beardsley. Einiges hat er auch übersetzt, vortrefflich Theophile Gautier, und, man stelle sich vor, Emile Zola.

Man munkelte, A. sei das illegitime Kind des englischen Königs mit einer spanischen Tänzerin. Er sei dann einem Baron Voigt untergeschoben worden. Vom englischen Königshaus erhielt er eine lebenslange apanage, so wollten es jedenfalls einige Gerüchte, die Alastair eifrig schürte.

Sein Markenzeichen war ALASTAIR, der gefallene Stern. Unter Freunden nannte er sich Hanaël. Eine Zeichnung, die ich besitze, hat er so signiert. Sie entstand im Flugzeug bei den Dreharbeiten von Berlings Film. Wenn er jedoch von sich sprach, nannte er sich die Großen Katzen: der Plural ist bescheidener, ich könnte niemals sagen die Große Katze.

Die Großen Katzen haben schlecht geschlafen, sie grämen sich über die Torheiten in der chinesischen Botschaft.

Er las regelmäßig mehrere Tageszeitungen, englische, französische, spanische. In der Folgezeit, nachdem er sich durch Berlings Film wieder München angenähert hatte, wohnte er monatelang in der Pension am Biederstein. Dies Haus schien für A. gemacht. Es stand in einem verwilderten Garten, geduckt zwischen Sträuchern und Spalierbäumen, im Besitz und unter der Führung einer Gräfin. Wenn ich das Grundstück betrat, wars mir, wie wenn ich aus der Welt geriete, exterritorial. Es konnte kein altes Haus sein, aber alles an ihm benahm sich uralt. Türen, Treppen, Dielen, alles hatte seine eignen ehrwürdigen Geräusche und Gerüche. Empfangen wurde ich von einem der dienstbaren Mädchen mit artigstem Benehmen. A. erzählte, sie kämen aus England, hätten den Schliff und die Anmut der Damen am früheren englischen Hof.

Dann stand ich vor Alastairs Zimmertür, und da sie ledergepolstert war, kratzte ich sanft mit den Fingernägeln daran, bis eine Stimme von innen rief: Die Großen Katzen lassen bitten. A. lag in einem Bett, die Decke aufgeschlagen, hatte eins seiner kostbaren, selbstentworfenen Kleider an, um den Hals eine plissierte Krause, die Füße steckten in Ballettschuhen mit pompons verziert.

Tageslicht war A. verhaßt. Ich hab ihn nie angetroffen bei einem Schimmer von Tageslicht, das wurde ausgesperrt wie der ärgste Feind. Spärliches elektrisches Licht und einige Kerzen erhellten den Raum wie in einer ausgeklügelten Inszenierung. Seine Haut vertrüge kein Sonnenlicht, behauptete A. Im übrigen mache es die Menschen häßlich. Er erinnere sich einer Matinée in Paris, die Menschen seinen alle so gräßlich entstellt gewesen, selbst Isidora Duncan, sonst eine bezaubernde Schönheit, hätte ausgesehn wie eine übernächtigte Maus. Dann erzählte er von ihrem tragischen Tod. In einem offenen Wagen sitzend, bei einem ihrer unzähligen dandies, habe sich ihr shawl (sic!) in einem Reifen verfangen und sie erdrosselt. Das war ein Tod nach seinem Geschmack.

Er hatte alle Tänzerinnen und Tänzer der Welt gekannt, ihre abseitigen Karrieren und Kabalen. Er hielt sich selbst für einen der größten. Zeichnen sei nur ein netter Zeitvertreib, um die Fantasie zu beflügeln.

A.s Gesicht war sorgfältig geschminkt, eine meißner Figurine aus dem Rokoko: über weißem Puder waren die Wangen fein gerötet, so auch die Lippen, und feine Bögen in Schwarz wölbten sich über den Augen. Nichts Aufdringliches oder gar Vulgäres hatten diese Verschönerungskünste. Seine Stimme war klar und bestimmt. Und seine Texte erinnere ich als völlig unsentimental. Er hatte einen Hang zu sarkastischem Witz und pointierten Scherzen. Von K. H., der in seinem jugendlichen Eifer glaubte, ihm etwas Besonderes schuldig zu sein, sagte er, und es klang weder boshaft noch gekünstelt: Beugt er sich über mich und küßt mich. Was glaubt denn dieser süße kleine Strolch? Kommt und will mich abschlecken. Wir konnten herzlich lachen.

Einen Sommer lang hielt sich A. in Bad Nauheim auf. Er beklagte sich, er wäre verloren in diesem Kaff, niemand besuche ihn usw. Ich meldete mich an und schrieb, ich brächte jemanden mit, einen jungen Fotografen. Wenn er jung und schön und manierlich ist, bring ihn mit, schrieb A.

Wir fuhren hin. Der junge Fotograf war Peter Thomas, er war Berufsfotograf, hatte Sielmann bei seinen ersten Tierfilmen assistiert und ist später von München weg nach Kanada gegangen, um Hausfotograf eines reichen Kanadiers zu werden, der soviel Land besaß, daß er mit seinem Flugzeug darüber hin- und herflog.

Ich hatte P. Th. eine tolle Story versprochen. Einen seltsameren Vogel hast du dein Lebtag nicht gesehn. Das wird ein verrücktes Buch werden, du wirst sehn (ich hatte tatsächlich vor, ein Buch zu machen). Wir fuhren also nach Bad Nauheim. Schwierigkeiten vonseiten A.s befürchtete ich nicht, immerhin hatte ich mich mit einem professionellen Fotografen angemeldet. Er bewohne die Fürstensuite (das war natürlich übertrieben, aber A. liebte solche Scherze) eines allerdings nicht allzu umfangreichen Hotels, die übliche Szene. Schwere damastene Vorhänge ließen nicht eine Spur Tageslicht ins Zimmer, obwohl die Fenster sperrangelweit geöffnet waren. Aus einiger Entfernung schwappten Musikfetzen durch die sich bauschenden Vorhänge. Es waren die Klänge des Kurorchesters. O wartet nur, gleich kommt die schöne blaue Donau, ich kenne das Repertoire auswending, sagte A.

Von P. Th. nahm er kaum Notiz. Der saß da wie gelähmt, unfähig auch nur eine Kamera in die Hand zu nehmen, geschweige zu fotografieren. Unter einem Vorwand trafen wir uns außerhalb A.s Zimmer und besprachen, was zu tun sei. Ich sagte: Peter, nimm einen deiner Apparate und leg los. Du kriegst nie mehr eine solche Gelegenheit. Peter entgegnete: Ich weiß nicht, was es ist, ich fühle mich außerstande zu fotografieren, bin wie paralysiert, verstehe auch nichts von eurer Unterhaltung. Er schaut mich nicht mal an, wie wenn ich Luft wäre. Gut, sagte ich, für dich ist das alles neu, ich kenne ihn schon eine Weile und bin weniger befangen. Es ist doch bestens, wenn er dich kaum beachtet. Hol eine Kamera heraus und fang einfach an.

Wieder zurück bei A. begann die Qual von neuem. Peter saß wie hypnotisiert auf seinem Stuhl, ohne Regung, ohne sich am Gespräch zu beteiligen. Er saß da und wußte nicht wie ihm geschah. Und ich litt entsetzlich mit. Nur A. schien das alles nicht zu berühren. Nahm er an, Peter sei mein wortloser stummer Diener? Sah er über meinen fauxpas hinweg, ihn nicht vor der Tür gelassen zu haben? Solche Gedanken kamen mir später auf dem Heimweg. Wir fuhren lange Stunden von Nauheim nach München zurück. Beide waren wir von unserm Mißerfolg so verstört, stundenlang lastete Schweigen zwischen uns, dunkles, brütendes Schweigen. Wir fuhren durch die Nacht, schweigend, erschöpft. Mir war, wie wenn sich diese grausame höfliche Nichtbeachtung, die Alastair Peter gegenüber gezeigt hatte, auf mich übertragen hätte.

Peter, dieser muntere erfolgversprechende Fotograf war an diesem Nachmittag in einem Hotelzimmer in Bad Nauheim zu einem Nichts geschrumpft.

Später erwähnte ich in einem Gespräch mit A. beiläufig Peter Thomas, und wie sehr ich es bedauerte, daß damals keine Fotos entstanden seien. Fotos? Peter Thomas? Ich weiß von nichts.

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