Morgenlandreise 50

Karatschi

Seit ein paar Tagen bin ich in Karatschi, sie ist die irrste Stadt, der ich je begegnet bin. In 10 Tagen, heißt es, gehe ein Schiff nach Bombay.

Vorgestern früh in meiner kleinen Gasse, als ich dabeiwar, mich unter einer am Wegrand freistehenden Pumpe zu waschen, erschlugen ein paar Kinder eine Ratte. Eins hatte sie mit einem Stein getroffen. Alle miteinander warfen sie nun Steine auf das verschreckte Tier, bis es zuletzt unter einem Steinwall begraben lag. Diese Ratten sind nicht die bösartigen, unsichtbaren Kanalbewohner wie in Deutschland. Hier spazieren sie dick und fett am hellichten Tag über Mäuerchen, Dächer und Straßen. In Mersin (Türkei) tummelten sich kaninchengroße Ratten zwischen den von der See ausgespülten Steinblöcken der Hafenmole. Die Kinder stöbern sie auf, indem sie mit Gerten die Ratten aus ihren Löchern stochern und bewerfen sie mit allem Möglichen, was sie grad in die Hand kriegen. Das ist ein kurzweiliges Spiel der Kinder. Sie lachen und freuen sich, die Ratten fürchten um ihr Leben.

Meine Behausung ist ein Loch ohne Fenster und festen Boden. Sie hat eine solide Stalltür mit einem Vorhängeschloß dran, und, wie schon vermerkt, vor der Tür ist meine Waschstelle. Alle in der Gasse der Ölsardinen (wie ich sie für mich nenne, ich glaube sie hat gar keinen Namen) holen sich ihr Wasser dort. In dem Schiffahrtsbüro, das ich bei Ankunft gleich ansteuerte, um das nächstbeste Schiff nicht zu versäumen, traf ich auf einen jungen Mann, tiptop europäisch in Schale und mit Schlips. Er sprach mich in flüssigem Englisch an, ob ich eine Schlafstelle suche. Er sah meinen Seesack, ich sah sein ehrliches Gesicht, er sah mein erstauntes Gesicht, er schätzte mich richtig ein, ich schätzte ihn richtig ein. Und so kam der Handel zustande. In dieser Stadt, sagte der junge Angestellte im Haus des Schiffahrts- und Flugbüros, wo es so viele böse Trickser gibt (so ähnlich drückte er sich aus), sei ich am sichersten in einer Straße mit armen Schluckern aufgehoben. Er hat recht, ich fühle mich in der Gasse schon wie zuhause. Abends oder nachts komme ich sehr spät und hundemüde zu meinem Schlafplatz, schlafe in meinem Schlafsack auf einer auf dem Sandboden liegenden Matratze sofort ein, morgens nicken mir die Leute freundlich zu, die Kinder lungern händeklatschend und feixend um mich herum.


Tschiel über Karatschi

Über der Stadt kreisen Adler, majestätische Vögel. Tschiel heißen sie auf Urdu. Sie stürzen sich zwischen den Verkehr, irgend etwas zu erwischen und weichen jeder Gefahr geschickt aus. Einfall für eine Geschichte: Ein Mensch, am Ende seiner Tage, verwandelt sich in einen solchen Vogel. Nun segelt er schwerelos über den Dschungel der Stadt, alle Plätze, alle Gassen und Straßen überblickend, die er als Mensch nie sah, nie fand. Aber jetzt weiß er nichts mehr damit anzufangen.

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