Was ist Ironie?

Ironie, so das Lehrbuch, bedeutet: Man sagt das Gegenteil dessen, was man meint. Man sagt zum Beispiel: Schönes Wetter heute. Alle blicken aus dem Fenster und sehen den Regen, die grauen Wolken.

Historisch geht die Ironie zurück auf das griechische Wort eironeia, was übersetzt Verstellung bedeutet. Die alten Griechen liebten den feierlichen Umzug, wo sie singend und zechend durch die Straßen liefen. Auf diesen Umzug geht unser Wort Komödie zurück. Dabei trugen die Griechen groteske Masken und riesige Phallusse (Verstellung). Der Schwache, ewig Unterlegene kämpft in diesem Umzug gegen den Großtuer, den angeberischen, aber dummen. Der Kleine, Schwache (aber Kluge und Gerissene) triumphiert in der Komödie – zum Spott für das Publikum – über den Großen (den Wichtigtuer, aber doch letztlich Dummen). Die Ironie beginnt also mit einem Konflikt, einem wahrgenommenen Unterschied zwischen Anspruch und Realität. Der dänische Philosoph Kierkegaard sagte daher: Gleich wie Philosophen behaupten, dass ohne den Zweifel keine wahre Philosophie möglich ist, lässt sich behaupten, dass kein Menschenleben ohne Ironie authentisch ist.

Und Brutus ist ein ehrenwerter Mann. Diese Spottzeile von Shakespeare setzt eines entscheidend voraus: Wir wissen vom Verrat des Brutus. Ironie bedarf des gemeinsamen Wissens. So funktioniert die Ironie zum Beispiel nicht, wenn das Kind etwas Teures haben will und der Vater sagt: Wir haben’s ja. Das Kind hat noch gar keinen Begriff vom Lohnzettel des Vaters. Es sieht das Begehrte und den damit verbundenen Wert ganz naiv. Dass der Vater das Gegenteil dessen sagt, was er meint, davon spürt das Kind höchstens etwas im Tonfall des Vaters. Etwas scheint nicht zu passen.

Bernhard Horwatitsch - Ironie 1. Folge

Zeichnung: Rolf Hannes

Ironie lebt auch von zeitlicher Aktualität. In Goethes Faust zum Beispiel gibt es einen Dialog zwischen Mephisto und dem Famulus (im zweiten Teil Akt II). Mephisto begrüßt den Famulus mit den Worten:

Mephisto: Heran mein Freund! – ihr heißet Nikodemus.
Famulus: Hochwürdiger Herr! So ist mein Nam – Oremus.
Mephisto: Das lassen wi
r!

Die Ironie Goethes besteht darin, dass Nikodemus ein Pharisäer war (Johannes Evangelium), und Oremus heißt wörtlich übersetzt: Lasset uns beten. Das möchte der Teufel nun nicht gerade.

So bibelfest sind wir heute nicht mehr. Und Latein ist weiterhin eine tote Sprache. Um also diese Ironie zu verstehen, setzt Goethe einiges voraus.

Der deutsche Philosoph Hegel sah im Ironiker einen Menschen mit einem unglücklichen Bewusstsein. Hegel: Es fehlt ihm (dem ‚unglücklichen Bewusstsein‘,) die Kraft der Entäußerung, die Kraft … das Sein zu ertragen. Es lebt in der Angst, die Herrlichkeit seines Innern durch Handlung und Dasein zu beflecken; … und flieht die Berührung der Wirklichkeit. (Hegel: Phänomenologie des Geistes)

Der österreichische Dichter Robert Musil schreibt in Der Mann ohne Eigenschaften über diese Wirklichkeit des Ironikers: Es ist die Wirklichkeit, welche die Möglichkeiten weckt… bis ein Mensch kommt, dem eine wirkliche Sache nicht mehr bedeutet, als eine gedachte. Er ist es, der den neuen Möglichkeiten erst ihren Sinn und ihre Bestimmung gibt, und er erweckt sie.

Fortsetzung folgt.

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