Tod am Tiber 1. Teil

Tod am Tiber, 1. Teil

Foto: Manfred Poser

Mein Freund Manfred Poser hat einen Kriminalroman geschrieben, und wie es sich gehört, schenkte er mir eins seiner Autorenexemplare.

Wir sitzen also beisammen, ich bin seit Wochen neugierig, das Buch in Augenschein zu nehmen, da fischt er es aus seiner Fahrradtasche, und als erstes stürze ich mich auf den Eingangssatz. Das ist meine Marotte: wenn der erste Satz nicht hinhaut, hat das Buch schlechte Karten bei mir. Ich lese laut und eindrücklich: Dort drüben, auf der anderen Tiberseite muß frühmorgens die goldene Fassade der Basilika San Paolo fuori le Mura im Licht der aufgehenden Sonne magisch geglüht haben.

Der Satz gefällt mir. Einmal, weil meine Augen immer auf der Suche nach Bauwerken sind, zumal Kirchen, die lohnen, angeschaut zu werden. Und in meinem Inneren bewahre ich sie alle, auch wenn ich ihre Namen längst nicht mehr präsent habe, diese herrlichen Fassaden aller herrlichen Kirchen, vor denen ich oft minutenlang verharrte, zu denen ich oft wiederkehrte, auch des wechselnden Lichts wegen. Der Basilika San Paolo bin ich nie begegnet, und doch imaginiere ich sie mir augenblicklich beim Lesen. Und ich spüre, auf dem der Basilika gegenüberliegenden Ufer muß das Grauen eines Mords geschehen sein. Das aufgehende helle Leben und der schwarze absinkende Tod, sie sind eingefangen in diesem Satz.

Noch bevor ich diesem Einfall nachhängen kann, nimmt mir Manfred das Buch aus der Hand und schreibt mir eine Widmung hinein. Er weiß, ich bin kein Krimileser. Er hält mich für einen Snob. Und das läßt er durchblicken, ohne daß es ein Außenstehender merken müßte: Dem Freund wahrer Literatur und echter Kunst usw.

Wir haben gelacht. Es fällt uns nicht immer leicht, aber zwischen Aufgang und Untergang spielt das Leben, sagen wir uns.

Fortsetzung folgt.

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