Nichts ist

Sie zögert, aber dann nimmt sie das Kissen mit. Die Bank ist hart, und es sind noch zwei Stunden, bis sie die Kinder abholen muss. Zeit, in der sie nachdenken möchte über ihr Leben und was sein wird, wenn sie nicht mehr auf dieser Bank sitzt.

Anfangs fühlte sie sich unwohl, das war nicht ihr Platz, sie hatte nicht dafür bezahlt und also keine Erlaubnis hier zu sein, nur einen Grund. Deshalb tat sie geschäftig, wenn jemand kam, putze die Nase oder pumpte Luft ins Rad, das keinen Platten hatte, damit niemand sie ansprach, und keiner tat es.

Später wurde sie mit einem Nicken begrüßt, doch der Kopf gehörte Frida, und machte ihr keine Angst. Wenn die Sonne schien, ließen die Kinder das Wasser laufen bis es überfloss und plantschten mit nackten Füßen in der Pfütze. Frida hob entschuldigend die Augenbrauen, aber sie schimpfte nicht mit den Zwillingen, die Elisabeth und Karl heißen oder auch Lisi und Kalli, und das gefällt ihr. Eines Tags würde sie auch Maja und Carlos hierher bringen.

Doch heute war sie allein, und sie hätte froh sein können über die staubtrockene Stille, und weil sie nicht nur Kissen, sondern auch Zettel und Stift einstecken hatte. Heute wollte sie den Plan machen für ihre Zukunft zu dritt, und was der erste Schritt sein könnte, der erste Schritt weg von der Bank.

Frauke Angel - Nichts ist

Holzschnitt Die große Leyer des Universums:
Marinus Mersenne (1588 – 1648)

Aber dann sieht sie die graue Erde unter dem Windrad, da, wo Lisi und Kalli letzte Woche Sonnenblumenkerne im Boden versenkt haben, und obwohl sie sich beinahe sicher ist, dass in diesem Sommer nichts mehr blüht, vertagt sie die Zukunft auf später und holt die Gießkanne aus der Tanne. Am Brunnenrand findet sie Zigarettenkippen, mindestens zwanzig, roter Lippenstift. Sie überlegt, wie es sich anfühlen würde, wieder Lippenstift zu tragen. Oder Frida von ihrem Fund zu berichten, mütterliches Kopfschütteln und ein Gespräch wie zwischen Freundinnen vielleicht. Aber die menschliche Schwäche ist ihr näher, und sie legt Moos über die Kippen und ihr Herz mit dem Taschentuch in den Abfall, nicht kompostierbar. Sie hätte noch Zeit für den Plan, aber aus der Zukunft wird heute nichts mehr, sie fühlt sich bereits erschöpft, und Maja und Carlos mögen es nicht, wenn sie so ist.

Kurz bevor sie das Rad durch den Ausgang schiebt, springt ihr ein Eichhörnchen in den offenen Fahrradanhänger. Sie muss lachen, weil es komisch aussieht, und für einen Augenblick möchte sie das Netz schließen und mit dem verdutzten Tier zu ihrem Mann rüberfahren, aber dann verlässt sie der Mut und das Tier.

Wieder biegt sie auf die Straße ohne den Urnenhain zu betreten, entsinnt sich der Kränze, die längst verdorrt sein müssen und ist dankbar, ihren Platz auf der anderen Seite des Friedhofs gefunden zu haben, dort wo Teddybären in der Sonne sitzen und die Grabsteine von Oskar und Lenn ihr helfen zu weinen.

Ja, denkt sie, als sie das orangefarbene Tor des Kindergartens am Ende der Straße sieht. Es hätte noch schlimmer kommen können. Aber selbst da ist sie sich nicht sicher. Nichts ist sicher.

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