Morgenlandreise 45

Im Zug nach Quetta

Morgenländisches Durcheinander, diesmal auf pakistanisch. Der Osten tut sich weit auf. Einigemale geht der Europäer, wenn er noch so gewitzt ist, ins Netz des Unbekannten. Wie lange er zappelt, wie er wieder freikommt vom Gespinst des Schlitzohrigen, des gleichgültig Unehrlichen, das ist die Frage. Und welchen Witz er daraus zieht.


Langohrziege an der Zollstation Iran/Pakistan: Sheik Wasil

Zwei Polizisten erscheinen, sprechen aufgeregt auf einen etwa 25 Jahre jungen Pakistani (oder Iraner?) ein, ich habe in ihm meinen Busgefährten wiedererkannt. Wir saßen während der langen Fahrt durch die Große Salzwüste nebeneinander. In seinem riesigen Turban sieht er stolz und unnahbar aus. Die Polizisten zupfen an ihm herum. Die Erregung hat die Aufmerksamkeit des ganzen Abteils. Die Beamten zerren den jungen Mann ein paar Schritte weg in den Gang. Dort geht das Palaver mit Drumherumstehenden weiter. Die Polizisten verschwinden, die Aufregung bleibt. Nach einigen Minuten sind die beiden Beamten wieder da, verstärkt um zwei weitere Bahnmänner. Niemand im ganzen Wagen bleibt unbeteiligt, alles plärrt durcheinander.

Von einem Halbwüchsigen, der etwas Englisch versteht, versuche ich zu erfahren, worum es geht. Er zuckt die Achseln. Als ich nachhake, sagt er nur money. Wie viel, frage ich. Es geht um eine lächerlich kleine Summe. Ich wühle mich durch das Knäuel der Leute zu den Polizisten hin, die den Mann im Turban hinundherknuffen. Im nu strecke ich ihm einige Scheine hin. Er zögert eine Sekunde, dann nimmt er sie, wortlos, ohne mich anzuschaun, streift seine Uhr vom Handgelenk und schlenzt sie mir hin. Ebenso schnell steck ich sie ihm zurück.

Die Hunde lassen vom Knochen ab. Ein paar Minuten noch wogt aufgeregte Unterhaltung durchs Abteil. Die wenigsten haben mitgekriegt, was wirklich geschehn ist. Der Mann sitzt wieder auf seinem Platz, und dort wird er über 30 Stunden sitzenbleiben, wortlos, stolz, in sich gekehrt. Genau wie neben mir im Bus. Er hat ein sehr schönes edles Gesicht. Ich nenne ihn für mich den Fürsten.

Kac para, how much, den langen Tag über. James Joyce und E.Th.A. Hoffmann reisen mit und About Dharma. Ein Engländer klimpert auf seiner Gitarre. Er singt einen Text von Joyce und er fragte mich, ob ich Hoffmann kenne. Der Boden des Wagens ist übersät mit Kernen, Kippen, Spucke, Schachteln, Eierschalen, Papierfetzen. In Sheik Wasil kletterten Langohrziegen über einen Müllhaufen und fraßen Papier und Unrat. Ihre Ohren sind so lang, sie schleifen über den Boden.

Letzte Nacht fiel die Eingangstür unsres Wagens aus den Scharnieren.

Als ich in Quetta mit dem Ausstieg beschäftigt bin, an alles andre denke als an meinen Reisegefährten, tritt er auf dem Bahnsteig auf mich zu, reicht mir die Hand und sagt: Rolf. Eine Begegnung mit der Wucht eines aufleuchtenden Meteors. Für eine Weltensekunde wird mein Herz gekreuzt von der Bahn eines andern. So vielen hab ich meinen Namen aufgeschrieben, von so vielen ihn bekommen, lauen und halblauen Herzens, von diesem Fürsten unter Schakalen weiß ich nichts. Das Unverlierbare ist namenlos.

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