Josel und die Mischpoke

Federzeichnung: Rolf Hannes

Einmal wanderte eine Gruppe Juden von Polen nach Amerika aus. In alten jüdischen Gemeinden war es stets so: Es gab immer einen Dorfweisen und immer einen Dorfdeppen. Damit die Dinge im Gleichgewicht sind. Wenn das Dorf einen Weisen hat, braucht es auch einen Idioten. Wie sollte es sonst ausgeglichen sein?

Selten, aber manchmal geschah’s auch, daß es der gleiche war – der Weise und der Idiot. Dann ist der Weise vollkommen. Dann ist nicht nur das Dorf, sondern der Mann selbst ausgeglichen. In unsrer Geschichte verhielt es sich so.

Der Dorfdepp, oder du kannst ihn den Dorfweisen nennen, hieß Josel. Auch er reiste mit der Gemeinde aus. Nach dem dritten Tag kam ein großer Sturm auf. Es war lebensgefährlich. Jeden Augenblick konnte das Schiff untergehn. Es herrschte Chaos, der Kapitän schrie seine Befehle, die Matrosen ließen die Rettungsboote ab, Kinder schrien, Frauen weinten. Die Reisenden irrten über Deck, völlig durcheinander und verängstigt. Es war ein Höllenlärm. Nur Josel war in stiller Freude. Lächelnd beobachtete er alle. Das alles machte ihm Spaß. Ein Weiser braucht sich nicht zu rechtfertigen. Er kann es sich leisten, ein Idiot zu sein.

Ein alter Mann des Dorfs schalt Josel: Das geht zu weit. Das Schiff sinkt. Was machst du? Du freust dich? Josel sagte: Warum bist du so aufgebracht, Onkelchen? Gehört das Schiff dir?

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