Eine gewagte Meditation 3. Folge

Ein Mensch, dessen Aufgabe im Leben ist herauszufinden, wer er ist, der hat sich etwas vorgenommen. Es ist die große Forderung der antiken Philosophie: Erkenne dich selbst! νῶθι σεαυτόν, Gnōthi seautón oder im Lateinischen: nosce te ipsum. Karriere machen solche Menschen nur in einem begrenzten Umfeld (gesellschaftlich). In so einem Umfeld kann sich der Suchende in Ruhe beschäftigen, und es wird sogar als Karriere betrachtet. Andere müssen für die Karriere ihre Selbstsuche opfern. Denn je mehr der Geist nach außen gerichtet ist, desto leichter kommt er im Leben voran, aber umso weniger weiß er, wer er ist. Denn er richtet seinen ganzen Blick nach außen in die Tätigkeit. Und so fehlt ihm schlicht Zeit und Geduld dafür, sich selbst zu erkennen. Nur wenn also der Selbstsucher für seine Selbstsuche bezahlt wird, machen Selbstsucher Karriere. Aber Karriere interessiert die Selbstsucher nicht. Es würde sie nur interessieren, wenn sie kein optimales Umfeld hätten, denn dann müssten sie ja ihre Selbstsuche opfern, um leben zu können. Die ursprüngliche Bedeutung des Spruchs Erkenne dich selbst, der Apollon zugeschrieben wird, lautet: Du bist sterblich. Aber die meisten Menschen leben, als wären sie unsterblich.

Radierung: Rolf Hannes

Das Außen, also die Welt, stellt ihre Forderungen. Und die größte Forderung die von der Welt gestellt wird, ist die: Vergiss, wer du bist. Welt? Das ist die große Zerstreuung. Welt, das ist die Bühne, die immer ist.

Doch gibt es einen Haken. Wer sich durch sein Tätigsein in der Welt selbst vergisst, dem wird von der Welt gehuldigt. Er wird zur Persona (Maske). Man nennt ihn bei einem Namen und verneigt sich vor ihm, gerade so als sei er voller Selbsterkenntnis. Geschmeichelt durch diese Gesten sieht sich der Selbstvergessene als jemand, der er sei. Der er aber nicht ist. Weil er das Gesicht der Welt mit seinem eigenen verwechselt. Er, der Selbstvergessene, hat zwar Erfolg, aber da er nicht weiß, wer er ist – schlimmer, er glaubt jetzt sogar jemand zu sein, der er gar nicht ist – ist sein Welterfolg eine spirituelle Niederlage. Viele dieser Selbstvergessenen halten bis zum bitteren Ende an ihrem falschen Gesicht fest. Für sie ist der Tod eine große Niederlage.

Wird fortgesetzt.

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