Dichterlesung 3. Folge

Viele Gedanken schießen mir durch den Kopf während ich lese. Es ist, als wäre ich ein zweites Mal anwesend. Einmal dachte ich: Das Kapitel ist lang, wie kommst du da wieder raus? Was als nächstes? Irgendwann ließ ich dann los. War es das Bier oder ritt mich der Teufel, jedenfalls hatte ich keine Bedenken mehr und lotste mich glücklich durchs Programm. Ich versuchte die verwickelte Handlung darzulegen, was wohl nicht so gelang, denn Herr Stroppa meinte am Ende amüsiert: Sehr schön, auch wenn man nicht unbedingt erfahren hat, was genau in Ihrem Roman passiert .

Er hatte eine Beobachtung gemacht: An einer Stelle sei tatsächlich etwas wie ein Ruck durch die Zuhörer gegangen. Es ist immer besser, die Zuhörer direkt anzusprechen und zu improvisieren, statt die Stunde genau zu planen. Lebendig muss es sein, auch wenn ein anderer Zuhörer meinte, man habe gespürt, dass sich der Autor von Szene zu Szene gehangelt habe. Wieder ein anderer, ein alter Zuhörer in der ersten Reihe schlief ein; jedenfalls schloss er die Augen, was manchmal auch auf hohe Konzentration schließen lässt. Dann gab es einen Zuhörer, der fortwährend grinste.

Manfred Poser - Dichterlesung 3

Ich war über die Kante gesprungen. Zeichnung: Rolf Hannes

Meine Erinnerungen waren durcheinandergeraten. Ich war (symbolisch) über die Kante gesprungen, hatte mich hineingestürzt in die freie Luft, und dann war es wie ein Trip. Hier eine Episode, da eine Erinnerung, und dann fiel mir wieder eine Szene ein. Irgendwann hatte ich das Gefühl, aufhören zu sollen, sicher war die Stunde schon vorbei, und eine gewisse Erleichterung war spürbar. Ich fand ein passendes Abschlusskapitel.

Ein Zuhörer meinte: Die Zeit ist wie im Flug vergangen. Ist das nicht das größte Kompliment, das der Autor bekommen kann? Einige hatten ein Lächeln im Gesicht, alle gingen gut gelaunt davon, und die Leiterin der Bibliothek dankte mir für meine eher unkonventionellen Lesungen. Recht so, Routine ist tödlich, das Leben entsteht von Minute zu Minute.

Bei der Lesung auf dem Dorf hatte eine Buchhändlerin 30 Bücher mitgebracht, 3 wurden verkauft; nun hatte ein Buchhändler nur 15 Bücher dabei, viel zu wenige.

Das Fahrradgeschäft leerte sich, und ich, der Autor, war mit mir allein. Immerhin war ja mein getreues Rad bei mir, auf dem ich zurückfuhr wie losgelöst Richtung Hotel, und merkwürdig, ich denke heute noch an das indische Mädchen mit seinen Zöpfen und dem Schulranzen, vielleicht 6 Jahre alt, das fröhlich an einer Ampel wartete und dann über die Straße hüpfte, vergnügt, so wie ich es war.

Ende

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